Die Eiswürfel klirren in meinem Glas. Ich gieße so viel Rum hinein, bis sie schwimmen. Mr. Dorian Green – Boston Rum – Handmade in Bostonprangt auf dem Etikett der Flasche.

Ich schleudere sie gegen die Wand.

Der Geruch, der mich weite Teile meines Lebens begleitet hat, erfüllt den Salon.

Es ist schlecht für mich, an Silvester zu trinken. Und es ist noch schlechter für mich, es nicht zu tun.

Ich setze mich auf einen der Louis-Quinze-Stuhl-Imitate und warte auf George. Zweifelsfrei hat er die Folgen meines Ausbruchs vernommen. Ihm entgeht nichts in diesem Haus. Ihm entgeht auch nichts in mir.

Der Rumgestank erstickt mich. Ich öffne die Terrassentür bis zum Anschlag, atme kalte Winterluft. Der Blick in den Garten ist bezaubernd. Die Ziergräser um den kleinen Springbrunnen sind mit Eiskristallen überzogen und wirken wie filigrane Kunstobjekte. Die Buchsbaumhecken, die Zweige des Ahornbaumes, überall glänzt es silberweiß.

Der Rosenbogen, den George längst mit einer Schutzfolie umwickelt hat, wirkt als einziges plump und geradezu stümperhaft. Dabei gehört sein unverpackter Anblick zu meinen stillen, sommerlichen Genüssen. Ich habe diesen Garten immer geliebt. Das ist der Grund, weshalb ich noch hier wohne. Das Haus ist eines der wenigen einzelstehenden Gebäude in Beacon Hill. Von der Terrasse aus sind die engen Kopfsteinpflasterstraßen mit den Gaslaternen nur zu ahnen. Die Hecke schützt mich vor Bostons neugierigen Blicken, seinem gierigen Gehör, seinem penetranten Hang, über all das zu reden, was es nicht versteht.

Zum Beispiel über eine zerschmetterte Rumflasche im Salon.

Ich konzentriere mich auf das Geräusch von Schritten, obwohl ich weiß, dass ich sie nicht hören werde. George ist leise, diskret. Diese Eigenschaft hat uns beiden das Leben gerettet.

Ich schließe die Augen, öffne sie erst wieder, als ich ein kaum wahrnehmbares Klacken vernehme.

»Sie haben einen Wunsch, Mr. Green?« George steht wie ein Zinnsoldat neben der Tür. Das Silbertablett mit der Ausgabe des Boston Globe balanciert er waagerecht auf dem Handteller.

Ich könnte eine Wasserwaage anlegen, die Luftblase befände sich exakt in der Mitte. Ich liebe Perfektion. Allerdings nur bei diesem Mann. Sie tröstet mich über die Unzulänglichkeit der Welt hinweg, füttert meine Hoffnung auf einen tieferen Sinn.

Ich genieße seinen Anblick und er lässt es zu, dass mein Blick wieder und wieder an ihm hinauf- und hinabwandert. Er verharrt an dem Knoten der Krawatte, um den vorstehenden Kehlkopf in Augenschein zu nehmen, gleitet gemächlich zu den weißen Manschetten, die aus den Ärmeln des Anzugs lugen. Ich ahne den Knöchel des Handgelenks in ihrem Schatten. Erinnere mich an die dezente Behaarung, wünsche mir, mit der Nase darüber zu streichen und den köstlichen Duft zu inhalieren.

»Einen Tee bitte«, sage ich stattdessen in vollem Bewusstsein dessen, dass er früher oder später jeden meiner Wünsche erfüllen wird.

Flüchtig sieht er zur Wand, bemerkt die Scherben. »Ich werde das Malheur sofort beseitigen.«

»Nein.« Ich sollte ein Hausmädchen engagieren. Schon, um ihn zu entlasten. Doch das würde zwei neugierige Augen und einen gesprächigen Mund bedeuten. Damit würde ich sein und mein Dasein unnötig erschweren.

Er legt die Zeitung auf den Tisch.

Mittwoch, der 31.12.1947

Vor dreiundzwanzig Jahren rettete er mir das Leben. Ganz klassisch hinter dem Samtvorhang meines Schlafzimmerfensters, indem er mir den Mund zuhielt, während Big Grecos Männer das Haus nach mir durchsuchten. Überall sahen sie nach. Selbstverständlich auch im Kleiderschrank und unter dem Bett. Keiner von ihnen kam auf die Idee, den Vorhang beiseitezuziehen. Ein Schutzengel, groß und mächtig wie der Berg Ararat musste sich vor uns aufgestellt haben.

Gott ist ein nachsichtiger Mann, wenn er Menschen wie mich beschützt. Damals waren meine Hände noch unberührt von Mr. Grecos Blut. Auch der Krieg hatte seine Spuren weder in meine Seele noch auf meinen Körper gezeichnet. Dafür befleckte ich beides regelmäßig mit meinem Sperma, während ich mich in Gedanken suhlte, die mir die Schamesröte ins Gesicht trieb.

Im Schutz des Samtvorhanges erfuhr ich, dass Mr. Greco meine Eltern ermordet hatte. Nicht persönlich. Ein Mann seines Formats beschmutzte sich seine Hände nicht selbst. Darin hatte er mir etwas voraus.

Ein Silvesterabend in einer seiner Speakeasies, die mein Vater illegal mit Rum beliefert hatte. Eine mutige Tat, hinter dem Rücken eines Mafiabosses mit dessen Methoden Geld zu verdienen.

Nein. Eine ganz und gar leichtsinnige.

Big Greco kontrollierte während der Prohibition nicht nur den Hafen mit sämtlichen Flüsterkneipen, auch die Lotsen, die Polizisten, vielleicht auch den Bürgermeister. Niemand wusste damals exakt, wie weit sein Einfluss reichte, doch die Schiffe mit der Zuckerrohrmelasse erreichten stets ihr Ziel.

Zumindest musste er das aufgrund seines kriminellen Selbstbewusstseins annehmen.

Einige Fässer landeten jedoch wie durch Wunderhand in einem der Lagerräume meines Vaters.

Der illegale Verkauf von Alkohol war lukrativ. Bedauerlicherweise gehörte Big Greco nicht zu den Männern, die sich von einem Spulenproduzenten ins Handwerk pfuschen ließen. Ohne Vorwarnung entledigte er sich des Konkurrenten und hätte dies auch mit dessen potenziellen Nachfolger getan, wäre George nicht gewesen.

Ich kämpfe mich aus der Vergangenheit, bis ich den Geruch des Rums wieder wahrnehme. Ich verabscheue ihn. Ähnlich intensiv wie Einladungen zu Silvesterpartys.

»Teilen Sie bitte Mrs. Poolwater für den heutigen Abend meine Absage mit.« Ihre Einladungskarte hatte bereits vor vier Wochen den Weg auf Georges Silbertablett gefunden. »Die restlichen Einladungen werfen Sie ins Feuer.« Ich nicke zum Kamin. Die Flammen lecken an den Steinen empor. Zweifelsfrei werden sie sich über das Futter freuen.

George mustert mich mit einem dezenten Tadel im Blick. »Bedenken Sie, dass der Jahreswechsel nur noch wenige Stunden entfernt ist, Mr. Green.«

Sein akkurater Scheitel, der anrasierte Nacken, die silbern schimmernden Haare an den Schläfen. Ich bin mir sicher, er verdankt sie mir und nicht seinem Alter. Dennoch stehen sie ihm ausgezeichnet.

Mir ist nie ein smarterer Mann begegnet.

Wenn ich die Kontrolle über mein Leben verliere, was hin und wieder geschieht, bitte ich ihn zu mir und sehe ihn an. So wie jetzt.

Ich lasse seine Disziplin, seine Distinguiertheit auf mich wirken, genieße seine aristokratische Attraktivität und gestatte allein seiner Anwesenheit, mich in meine Mitte zu führen. Seit ich George kenne, verbinde ich Würde und Loyalität mit sorgfältig manikürten Händen und mit auf Hochglanz polierten Schuhen.

Im Dienst meines Vaters pflegte er weiße Handschuhe zu tragen. Es hat mich einiges an Mühe gekostet, George davon abzubringen.

Ich liebe seine Hände. Ich will sie sehen, sie spüren, mich ganz und gar dem Genuss hingeben, wenn sie mich mit dieser unnachahmlichen Sanftheit berühren.

»Darf ich?«, fragt er nur der Form halber und ist schon auf dem Weg zur Terrassentür. »Der Wind ist eisig, Sir.« Beinahe lautlos schließt er die Flügel.

Er macht sich Sorgen um mich. Das hat er immer getan. Dafür bezahle ich ihn nicht, aber ich rechne es ihm hoch an.

George ist ein ehrenvoller Ritter in einer Rüstung, die nur für ahnungslose Augen einem Frack ähnelt. Er verdient meinen Respekt und ich will ihn nicht betrüben. Bedauerlicherweise geschieht es dennoch häufiger, als mir lieb ist. Es liegt in meiner Natur. Er weiß es und verzeiht es mir. Nur ich kann es mir nicht verzeihen.

Spricht er so wie eben, mit diesem seltsam leisen und schweren Tonfall, legt sich ein dumpfes Gefühl um mein Herz.

Ich liebe sein Lächeln. Auch das Blitzen in seinen Augen, wenn ich ihm eine Freude bereite. Es ist ganz leicht. Oft genügt es, wenn ich mir eine Rose ans Revers stecke oder ein Lied mitsinge, das im Radio läuft.

Seine Bescheidenheit adelt ihn. In allen Dingen.

»Fünfunddreißig Einladungen liegen auf Ihrem Schreibtisch, Mr. Green«, ermahnt er mich freundlich. »Mrs. Poolwater wäre hocherfreut, Sie unter ihren Gästen begrüßen zu dürfen. Immerhin sind Sie der Hauptsponsor ihres Vereins.«

Ich sinke in den Stuhl. »Mrs. Poolwater ist eine ununterbrochen schnatternde Gans, die mich ständig darauf aufmerksam macht, wie reizend ihre Tochter ist.« Jane ist nicht reizend. Sie ist lästig. »Wie oft bin ich in den letzten dreiundzwanzig Jahren zu Silvester ausgegangen?« Ich rutsche mit dem Gesäß vor bis zur Stuhlkante, lege den Kopf zurück über die Lehne. Ich genieße den so entstehenden Druck auf meinen Kehlkopf und weiß, dass sich allein bei dessen Anblick Georgs Atem beschleunigt. Auch wenn ich nichts davon vernehme. Vorher wird er sich räuspern. Sehr leise, sehr diskret.

»Kein einziges Mal, Mr. Green.«

Dieser bedauernde Ton. Als hätte ich ihn gekränkt, doch es ist nicht seine Schuld. Gar nichts ist seine Schuld.

Weder der Tod meiner Eltern, noch die Tatsache, dass ich nie wirklich um sie getrauert habe. Ein seltsamer Gedanke. Kinder sollten verpflichtet sein, ihre Eltern zu lieben. Gleichgültig wie sehr ich mich bemühe, es bleibt nur ein schales Gefühl von Verlust, das sich weigert, mein Herz zu berühren.

An dem Tag nach ihrer Beerdigung gestand ich George, dass ich nicht normal wäre. Jeder am Grab weinte, bis auf George und ich. Ihm war es zu verzeihen, mir nicht. George versprach mir, dass mit mir alles in Ordnung wäre. Nur nicht mit der Normalität. Sie würde nicht existieren. Bisher hätte das bedauerlicherweise niemand bemerkt.

Als kurz darauf die Wirtschaft zusammenbrach und die Menschen in den Straßen von South Boston und Roxbury hungerten und nicht wenige von ihnen in den Wintermonaten erfroren, begriffen alle, dass es keine Normalität gab. Seltsamerweise kehrte sie in dem Moment zurück, als Amerika beschloss, seinen Teil zum Krieg beizutragen. Ein Phänomen, das mich heute noch irritiert.

Ich verdanke dieser globalen Katastrophe einen ausgiebigen Aufenthalt in Frankreich, eine gewisse Vorliebe zu französischem Rotwein und eine heftige Abneigung, eine Waffe auf einen anderen Menschen zu richten.

Als ich nach Hause zurückkehrte, machte ich dort weiter, wo ich aufgehört hatte. Ich baute die Destillerie meines Vaters aus und produziere mittlerweile erstklassigen Rum. Diese schlichte Tätigkeit hatte es mir bereits während der Weltwirtschaftskrise ermöglicht, George in meinen Diensten zu behalten. Manchmal möchte ich ihn fragen, ob er auch bei mir geblieben wäre, wenn ich ihn nicht dafür hätte bezahlen können.

Ich sehne mich nach ihm. Jetzt, genau in diesem Augenblick.

Er weiß es, weil er es mir ansieht. Die Zeiten, in denen ich eine Schultasche auf meinen Schritt pressen musste, um meine Erregung zu verbergen, sind vorbei.

Das Sehnen wird zu einem Ziehen in meinem Unterleib, das ich nicht ignorieren kann. Es ist jedes Mal wie ein Überfall. Ich kapituliere bereits nach den ersten schnellen Herzschlägen.

Langsam spreize ich die Schenkel. »Und warum kommen Sie auf die Idee, dass ich dieses Jahr auf eine Silvesterfeier gehen möchte?« Meine Finger lassen sich Zeit, die Gürtelschnalle zu lösen. Auch beim Reißverschluss hetze ich nicht.

»Weil es gut für Sie wäre, Mr. Green.«

Ich kann ihn nicht sehen. Nach wie vor liegt mein Kopf über der Lehne. Die Zimmerdecke ist alles, was mich von meiner inneren Glut ablenkt. Weißer Stuck, blasses Weinrot, der Kronleuchter. Es gibt Tage, da will ich ihn zertrümmern.

»Mir fällt etwas Besseres ein, als umringt von Fremden Freundschaft zu heucheln.« Ich weiß, dass George schluckt. Auch wenn ich es nicht höre. Ich weiß ebenso, dass sich seine Pupillen weiten, während ich fest mit der Handfläche über meinen Schritt reibe.

Es tut so gut, hart zu werden.

Zum ersten Mal wurde ich es, als George in Frack und blütenweißen Handschuhen in den Salon trat. Er verneigte sich leicht vor mir, obwohl ich fast noch ein Kind war. Die Manschetten, die aus den Ärmeln lugten, die kerzengerade Haltung. Doch am meisten faszinierte mich das freundliche, dennoch leidenschaftliche Leuchten in seinem Blick.

Meine Mutter erklärte mir, George wäre unser neuer Butler.

Bisher hatten wir einen Chauffeur beschäftigt und zwei Hausmädchen. Meine Eltern hatten allen Dreien gekündigt. Auf meine Frage, warum, sagte mein Vater nur, zu viel Personal wäre zu teuer und ein Butler wäre in der Lage, sämtlichen in unserem Haushalt anfallenden Aufgaben in angemessener Weise nachzukommen.

George lächelte mich an.

Und ich wurde hart.

Es war mir so unangenehm, dass ich in mein Zimmer flüchtete und eine ganze Weile nicht wusste, wie mir geschah. Zwischen meinen Beinen reckte sich mein Glied empor und dachte nicht daran, sich wieder zu beruhigen. Mir wurde immer heißer, bis ich mich endlich über die Verbote meiner Mutter hinwegsetzte und es berührte, obwohl ich mich nicht erleichtern musste.

Nur dann durfte ich es. Sonst würde ich krank, hatte sie mir in strengem Tonfall eingeschärft.

Ich fühlte mich krank. Sehr sogar. Unnatürlich erregt, viel zu heiß.

Sehr zaghaft strich ich an meinem Glied hinauf und hinab. Es genügte, um innerhalb von Sekunden meinen Samen auf den Teppich zu verspritzen. Ich starrte das Malheur an, erkannte in ihm dasselbe weiße Zeug, das mir hin und wieder morgens in der Schlafanzugshose klebte.

Ich fühlte mich von jetzt auf gleich ausgesprochen gut. Ein wenig schwach, aber sonst prächtig. Eine innere Stimme riet mir, die Spuren meines Abenteuers schnellstmöglich zu beseitigen.

Gegen Abend schlich ich aus dem Zimmer, um mit meinen Eltern das Dinner einzunehmen.

George bediente uns. Ich verkrampfte mich jedes Mal, wenn er an meine Seite trat, um mir aufzutun oder mein Glas nachzuschenken. Der feine Duft, der von ihm ausging, überwältigte mich.

Erneut schwoll mein Glied an. Ich dankte Gott, dass ich am Tisch saß und es so niemand bemerkte. Bisher hatte mich dieses widerspenstige Organ vollkommen in Ruhe gelassen. Manchmal war es morgens etwas dicker gewesen, doch das hatte sich von selbst gegeben. Nun machte es, was es wollte.

Nach dem Essen verschwand ich sofort wieder in meinem Zimmer. Meine Eltern sahen sich erstaunt an und riefen mir eine gute Nacht hinterher.

Kaum saß ich auf dem Bett, strampelte ich die Hose von den Beinen und folgte meinem neu erwachten Instinkt.

Mit Georges Duft in der Nase und der stümperhaften Fantasie eines unbedarften Jungen, ergab ich mich wilder Lust, umklammerte meine Erektion und rieb sie, bis es auf diese süße, ziehende Weise schmerzte.

Ich konnte mein lautes Stöhnen nicht zurückhalten, als es mir kam. Es tat unermesslich gut. Allerdings hätte ich es mir verkneifen müssen, Georges Namen dabei zu formulieren. Wiederholt, so vermute ich im Nachhinein. Es hat mich schlicht mitgerissen.

„Dorian?“

Mein Vater.

Ich erstarrte vor Schreck.

„Dorian!“

Die Tür flog auf.

Sein Blick erfasste mich in einer für mich nun nicht mehr lustvollen, sondern zutiefst beschämenden Lage. Entblößt und mit meinem tropfenden, noch nicht wieder erschlafften Glied in der Faust. Für einen Moment starrte er darauf, als könne er nicht fassen, was er sah. Dann blickte er sich um, fand offenbar nicht das, was er suchte, und nickte grimmig.  „Wo ist er?“

„Wer?“, brachte ich heraus.

„George.“

Er hatte es gehört. Mir wurde siedend heiß vor Scham.

Ich sah seiner sich versteinernden Miene an, dass er die richtigen Schlüsse zog.

Er stürmte auf mich zu, packte mich am Handgelenk und zerrte mich vom Bett. Er legte mich übers Knie, drosch mit der flachen Hand auf meinen nackten Hintern ein, bis mir schlecht wurde vor Schmerz.

„Kein Wort zu ihm“, keuchte er vor Anstrengung. „Kein Wort zu irgendjemandem.“

Ich konnte nicht antworten. Der Versuch, mein Schluchzen zu unterdrücken, forderte mich ganz und gar.

„Mein Sohn ist keine verdammte Schwuchtel“, stieß er zwischen den Zähnen hervor. „Dafür werde ich sorgen, und wenn ich dir jeden einzelnen deiner schmutzigen Gedanken ausprügeln muss!“

Der Begriff Schwuchtelsagte mir nichts. Zweifellos bezeichnete er etwas Abscheuliches.

Endlich ließ er von mir ab, stieß mich von sich und schlug die Tür zu, als er ging.

Ich hörte, wie er meiner Mutter etwas im Zorn zurief, war jedoch nicht in der Lage, es zu verstehen. Kurz darauf brummte der Motor des Bentleys in der Auffahrt.

Meine Finger klebten von meinem Samen. Der Geruch stieg mir in die Nase, mir wurde übel vor Ekel.

Es war nicht gut, was mir mein Körper vorgaukelte. Es war ganz und gar verwerflich. Weshalb sonst hatte mich mein Vater derart heftig geschlagen? Selbst als ich Reverend Gloomy aus Versehen mit einem Baseball getroffen hatte, war es bei einem Paar derben Ohrfeigen geblieben.

Ein Teil von mir hoffte, dass meine Mutter nach mir sehen würde. Ein anderer Teil war dankbar, dass sie es unterließ.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging. Irgendwann klopfte es an meiner Tür. Da meine Eltern nie anklopften, konnte es nur George sein.

Ich rief hereinund vergaß, dass ich mit nacktem Unterleib auf dem Boden saß. Als er mein Zimmer betrat, war es zu spät. Ich schämte mich so sehr, dass mir Tränen über die Wangen liefen.

»Form wahren«, ermahnte mich George sanft, doch bestimmt. »Die Widrigkeiten des Lebens lassen sich mit erhobenem Kinn leichter ertragen.« Er beugte sich zu mir herab, legte sacht seinen behandschuhten Finger an eben jenes.

Ich spürte kaum die Berührung. Es schien, als folgte mein Kopf freiwillig dem Impuls nach oben.

»Besser, Sir?«, fragte er nach einer Weile, in der wir uns stumm in die Augen gesehen hatten.

Ich nickte gegen den Druck seines Fingers, fühlte ein Prickeln auf meiner Haut.

»Ihre Eltern sind ausgegangen«, informierte er mich freundlich, während er sich aufrichtete. »Es scheint so, als wäre es an mir, Sie zu Bett zu bringen.«

»Meine Eltern bringen mich schon lange nicht mehr zu Bett.« Ich war vierzehn, kein Kleinkind.

»In diesem Fall gestatten Sie mir bitte die Ausnahme der Regel, Sir.« Er nahm meinen Morgenmantel, hielt ihn mir so hin, wie mein Vater meiner Mutter, wenn er ihr in den Mantel half.

Mit zittrigen Beinen stand ich auf, versuchte mit der besudelten Hand, meine Blöße zu bedecken.

»Da ist nichts, was mir nicht zur Genüge bekannt wäre.« Er nickte zu meiner Mitte. »Schämen Sie sich nicht. Gott ist vieles, doch gewiss kein Amateur. Er hat sich beim Erschaffen des menschlichen Körpers etwas Kluges gedacht. Dessen seien Sie gewiss.«

Der Trost dieser Worte hüllte mich sanfter ein als das weiche Frottee.

»Zuerst schlage ich vor, dass Sie sich im Badezimmer frisch machen.«

Noch heute weiß ich nicht, ob ich mir sein Zwinkern in diesem Moment nur einbildete.

»Danach wäre ein heißer Kakao angemessen. Finden Sie nicht?«

»Sie belohnen mich?« Ich hatte etwas Verwerfliches getan. Mir gebührte alles, aber kein Kakao.

»Nein.«

Seine Hand an meiner Schulter, die mich zum Badezimmer führte.

»Ich versuche lediglich, unverdiente Schmerzen zu mildern.«

»Ich habe sie verdient.« Es musste so sein. Sonst hätte mich mein Vater grundlos geschlagen. Ein Gedanke, der stärker schmerzte als mein wundes Hinterteil.

George schloss die Augen. Nur einen winzigen Moment. Sein Seufzen habe ich heute noch im Ohr. Er sah traurig aus, als er mir wenige Minuten später den versprochenen Kakao ans Bett brachte. »Versprechen Sie mir eines«, begann er. »Vertrauen Sie ohne Ausnahme und bedingungslos Ihren Gefühlen. Doch seien Sie dabei so weitsichtig, sie vor fremden Blicken zu verbergen.« Sehr leise stellte er die Tasse auf den Nachttisch. »Ich wünsche angenehme Träume, Mr. Green.« Schon in der Tür stehend, wandte er sich noch einmal nach mir um. »Darf ich Sie um einen Gefallen bitten, Sir?« Sein Lächeln wirkte beinahe schüchtern. »Es wäre vermutlich für uns beide besser, bliebe dieses Gespräch unter uns.«

»Natürlich, George.« Ich hätte mir eher die Zunge abgebissen, als auch nur eines seiner Worte an meinen Vater zu verraten.

In dieser Nacht schlief ich unruhig. Wenn mich mein schmerzender Hintern nicht weckte, dann das sehnsuchtsvolle Ziehen in mir, das mich an George erinnerte. Es mochte verwerflich sein. Schändlich. Unanständig. Aber es fühlte sich nach wie vor verlockend gut an, mischte sich mit der Erinnerung an seine sanfte Stimme, den freundlichen Blick. Verdrängte den Schrecken, den ich meinem Vater verdankte.

Schwuchtel. Jemand, der sich zu Hauspersonal hingezogen fühlte? Der sich selbst befriedigte? Erst später erfuhr ich, was der Begriff tatsächlich bedeutete.

Am nächsten Morgen betrat ich wie ein zum Tode Verurteilter den Frühstückssalon.

Ich wünschte meinen Eltern einen guten Morgen, erhielt jedoch keine Antwort. Offenbar hatten sie beschlossen, mich zu ignorieren.

Während das Rascheln des Boston Globe alle anderen Geräusche übertönte, versuchte ich, meine Bissen zu schlucken, ohne daran ersticken zu müssen.

George trat zu mir und schenkte mir Tee ein.

Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich unsere Blicke.

Sofort schlug mein Herz leichter.

Mein Vater bemerkte davon nichts. Weder von dem kurzen Blickwechsel, noch von der plötzlichen Entspannung seines Sohnes. In den ihm verbliebenen Jahren bis zu seinem Tod verlor er kein weiteres Wort mehr zu dem Zwischenfall in jener Nacht. Wann immer es ihm möglich war, ging er mir aus dem Weg. Noch heute bin ich ihm dankbar, dass er George nicht bereits an seinem ersten Arbeitstag gekündigt hatte. Allein aus prophylaktischen Gründen. Doch er schien die Ursache meiner Verfehlung nicht bei ihm, sondern allein bei mir zu sehen.

Erst sehr viel später gestand ich George den Grund, weshalb mich mein Vater an diesem Abend geschlagen hatte. Selbstverständlich war mir bewusst, dass ein kluger Mann wie er eins und eins zusammengezählt hatte und ich mir die Beichte hätte ersparen können. Doch es war mir ein Bedürfnis, mich ihm anzuvertrauen.

George ging daraufhin in den Keller, um eine der letzten Flaschen Kentucky Bourbon zu holen. Wir leerten sie über Stunden, während wir ins Kaminfeuer sahen und ignorierten, dass die Welt jenseits der Mauern in bitterer Armut versank.

 

Eines Tages im Sommer, es war vor meinem sechzehnten Geburtstag, öffnete George einem kleinen, untersetzten Mann mit schwarzem Haarkranz und runder Brille die Tür. Er stellte sich als Silvester Greco vor und wünschte umgehend, mit der Dame des Hauses zu sprechen. Da es Nachmittag war, befand sich mein Vater in der Fabrik. So dachte ich zumindest. Die Wahrheit trat anderthalb Jahre später zu Tage. Damals baute mein Vater seine erste Destillerie in einem der Lagerräume der Spulenfabrik. Da er kurz vor dem Ruin stand, hoffte er, sich mit der Herstellung und dem Verkauf von Rum über Wasser halten zu können. Trotz der Prohibition floss der Alkohol in den Flüsterkneipen in Strömen. Die von der Regierung zur Wahrung des Alkoholverbots eingestellten Agenten waren zum einen bestechlich, zum anderen zu wenige, um eine Stadt wie Boston zu kontrollieren. Mein Vater nutzte seine Geschäftsbeziehungen und sorgte dafür, dass ein Teil der Zuckerrohrmelasse aus Puerto Rico, die offiziell für eine Fabrik zur Futtermittelherstellung bestimmt gewesen war, inoffiziell jedoch Greco gehörte, den Weg in seinen umgebauten Lagerraum fand.

Auch das erfuhr ich erst später, als ich in der Lage war, die Umstände seines Todes zu hinterfragen.

Mr. Silvester Greco besuchte meine Mutter an diesem Tag allerdings weniger im Auftrag der Regierung, sondern aus ganz eigenen Interessen heraus.

Meine Mutter war eine bildschöne Frau. Man hätte blind sein müssen, um das nicht zu erkennen. Mr. Greco war diese Tatsache nicht entgangen und er arrangierte das Treffen nur zu dem einen Zweck, um ihr ein unmoralisches Angebot zu unterbreiten.

Ihre Zusage schenkte ihr und meinem Vater etwa siebzehn weitere Monate.

Wie mein Vater, so war auch Mr. Greco ins Geschäft mit illegalem Alkohol eingestiegen. Jedoch nicht schutzlos und allein, sondern mit dem entsprechend starken Rückenwind der Cosa Nostra. Er fürchtete um seine Pfründe und drohte, meinen Vater samt seiner aus dem Boden gestampften Destillerie zu beseitigen. Es sei denn, meine Mutter ließe sich auf einen Deal ein.

Mein Vater war selten zu Hause in dieser Zeit. Die Arbeit zwang ihn dazu. Meine Mutter war ebenso selten zu Hause. Ihre Arbeit unter Mr. Silvester Greco forderte ebenfalls ein beträchtliches Maß ihrer Zeit.

Kurz vor ihrem Tod vertraute sie sich ihrem Bruder an. Ohne meinen Onkel hätte ich nie von diesem seltsamen Abkommen zwischen ihr und Mr. Greco erfahren, was wiederum Mr. Grecos Leben um Jahre verlängert hätte.

George verbrachte einen Großteil seines Tages hinter dem Steuer. Zuerst fuhr er meinen Vater in die Fabrik, dann mich zur Schule und anschließend meine Mutter zu Greco. Nachmittags holte er mich ab, abends meine Mutter und erst spät in der Nacht meinen Vater. Auf diese Weise blieb meinem Vater die Wahrheit über das nur teilweise geheime Abkommen erspart. Hätte er davon gewusst, wäre er eventuell ebenfalls noch am Leben.

Eine eigenartige Vorstellung.

Die Fahrten zur Schule stellten eine ganz besondere Herausforderung für mich dar.

Tag für Tag versank ich auf dem Rücksitz des Wagens, Georges anrasierten Nacken vor Augen, seinen Duft in der Nase, während es zwischen meinen Beinen zu pochen begann. George konnte es nicht bemerken. Selbst dann nicht, wenn er in den Innenspiegel blickte. Er sah nicht mehr von mir als meinen vor Scham roten Kopf.

Ich hielt die Schultasche auf meinen Schoß gepresst, in der Hoffnung, das Pulsieren darunter würde sich geben, was nicht geschah. Der Druck stachelte sie noch an. Täglich zweimal. Von Montag bis Freitag.

In jedem unbeobachteten Moment malte ich mir Dinge aus, die mich ebenso erschreckten wie verzückten. Ich wollte von George berührt werden. Mein Körper schmerzte vor Sehnsucht nach den Händen, die sich stets in weißen Handschuhen verbargen.

Hinzu gesellte sich eine ungewöhnliche Sensibilität an Körperstellen, die ich bisher der Beachtung für kaum würdig befunden hatte. Nachts im Bett, wenn mich die Erregung am Einschlafen hinderte, verirrten sich meine Finger dorthin. Zwischen Ekel und Verzückung hin- und hergerissen, betastete ich mich so intensiv, dass es mir kam.

Dem ersten Schrecken folgte die Erkenntnis, dass mein Vater seit jenem Vorfall mein Zimmer nicht mehr betreten hatte. Meine Mutter hielt sich ebenfalls zurück. Ich machte es mir zur Gewohnheit, mich Nacht für Nacht meinen Fantasien hinzugeben, während meine Hand Dinge tat, die ich insgeheim George zuschrieb.

Ich ruinierte regelmäßig meine Bettwäsche, stöhnte dabei so leise wie möglich und ohne Georges Namen zu nennen. Gleich im Anschluss beseitigte ich die feuchten Flecken mit der Unterhose vom Vortag. Was auch geschah, meine Eltern durften nichts von meinen nächtlichen Verfehlungen erfahren.

Vertrauen Sie Ihrem Gefühl. Doch nicht vor fremden Blicken. Georges Worte begleiteten mich durch diese verwirrende Zeit.

Noch schwieriger wurde es für mich, als die großen Ferien begannen. Meiner Pflichten vorläufig entledigt, stand ich später als gewöhnlich auf. Das entspannte Dämmern im Halbschlaf verführte mich dazu, mich auch morgens meinen Sehnsüchten hinzugeben. Erst, wenn ich hörte, wie George zurückkam, nachdem er meine Mutter sonst wohin gefahren hatte, erhob ich mich.

Ich wurde nachlässig, was das Beseitigen meiner Spuren betraf.

Schon am dritten Tag war mein Bett nach dem Frühstück frisch bezogen.

George kannte mein Geheimnis.

Diese Erkenntnis brachte nicht nur meine Wangen zum Glühen.

Das machte ihn für mich zu einem Komplizen. Nicht nur in meiner Fantasie, auch in der Realität.

Ich testete seine Loyalität mir gegenüber, indem ich auf das Laken onanierte, ohne mich weiter um den entstandenen Fleck zu kümmern. Ich ging zum Frühstück, ließ mir von George den Stuhl anschieben und Tee einschenken, und als er den Salon verließ, schlich ich ihm nach.

Er schritt direkt zum Wäschezimmer. Ohne sich vorher zu vergewissern, ob ein frischer Bezug nötig war. Demnach rechnete er fest mit meiner Lasterhaftigkeit. Allein diese Tatsache ließ mein Herz heftiger schlagen. Mit einem Laken ausgestattet betrat er mein Zimmer, entfernte in aller Ruhe das besudelte Bettzeug und spannte ein neues über die Matratze.

Ich blieb in der Tür stehen. Auch dann noch, als er sich umdrehte und mir in die Augen sah. Er verzog keine Miene, doch bildete ich mir ein, dass sein Blick eine Spur freundlicher wurde, als er es ohnehin schon war.

Er verachtete mich nicht. Er verurteilte mich nicht. Er nahm meine Sündhaftigkeit auf eine entspannte Weise hin, die mich erschütterte.

Mein Vater hatte mich geschlagen.

Und George bezog einfach nur mein Bett.

Die Angst, er könnte mich an meine Eltern verraten, bestimmte die folgenden Tage. Ich achtete auf das kleinste Anzeichen, aber weder stellte mich mein Vater zur Rede, noch änderte sich irgendetwas an seinem Umgang mit mir. Auch meine Mutter verhielt sich mir gegenüber unauffällig.

Das Gefühl einer innigen Verbundenheit zu George wuchs in dieser Zeit massiv. Der Gedanke, dass er zwar von meinem Vater bezahlt wurde, doch insgeheim nur mir diente, beflügelte mich. Es existierte kein Wunsch, den er mir nicht von den Augen ablas.

Bis auf den einen. Er verzehrte mich innerlich, obwohl ich ihn aufgrund meiner Naivität nicht in Worte hätte fassen können.

Ich musste noch eineinhalb Jahre warten, bis er ihn endlich erfüllte.

 

Die Erinnerung an jene bedeutende Nacht lähmt mich. George hat mein Entsetzen aus meinen Augen gelesen wie meine Wünsche zuvor. Als ich verzweifelt meine Lippen auf seine presste, war er feinfühlig genug, mich nicht zurückzustoßen. Er gab mir, was ich in dieser Situation brauchte. Auf seine ruhige, sanfte Weise.

Als mein Onkel, weiß vor Angst, ins Haus stürmte, fand er mich allein und frisch eingekleidet vor, während George in der Küche dabei war, mir einen Kakao zuzubereiten. Seine Nachricht erschütterte mich nicht mehr. Ich wusste bereits, was in der Speakeasy geschehen war. Ich kämpfte lediglich damit, diese Information zu verarbeiten.

Mein Onkel berichtete von einem weiteren Abkommen mit Big Greco, das dafür sorgen sollte, dass ich unbehelligt bliebe.

Greco hielt es. Ich sorgte dafür, dass er nicht anders konnte.

Am 6. Januar 1928 trieb er mit einem Loch in der Brust im Charles River, unweit des Lachmere Viadukts.

Die Polizei vermutete hinter dem Verbrechen einen internen Konflikt der Cosa Nostra. Nur ich wusste, dass es sich um die Vergeltungstat eines jungen Mannes handelte.

 

Ich greife mir in die Hose, streichle über mein empfindsamstes Organ. Ich liebe das Gefühl von Samthaut an meinen Fingerspitzen, spüre das Pulsieren in den geschwollenen Adern.

George räuspert sich. Wie immer, wenn ich ihn herausfordere. Form wahrennennt er es. Ich nenne es Verführung zu meinen Gunsten.

»Mr. Green. Sie müssen wieder unter Menschen. Es ist nicht gut für Sie, sich vor der Gesellschaft zu verkriechen.« Beinahe lautlos stellt er das Tablett ab, nähert sich ebenso leise. »Nur dieses eine Mal.« Er beugt sich über mich, berührt mit den Lippen sacht meinen Kehlkopf. Der Duft seines Aftershaves schmeichelt meiner Nase. Es ist sündhaft teuer und mir ist bewusst, dass er es sich nur wegen mir leistet. Er weiß, was ich schätze und ich schätze ihn für das, was er weiß.

»Bitte nehmen Sie die Hand aus der Hose, Sir.«

Ich gehorche. Dass er in meinen Diensten steht, tut nichts zur Sache. Er würde sich mir nie verweigern und ich käme nie auf die Idee, die Zügel in die Hand zu nehmen.

Ein unvermittelt heftiges Saugen an meiner Kehle, das mir Schauder durch den Körper jagt. Ich zwinge mich, ihm nicht in den Nacken zu greifen. Ihn nicht fester gegen meine Kehle zu pressen. Meine Hände verkrampfen sich auf meinen Oberschenkeln. Sie werden nichts tun, alles ihm überlassen. So war es von Anfang an und ich könnte es nicht ändern, selbst wenn ich es wollte.

»Mr. Green. Bitte entscheiden Sie sich für eine Party und beginnen Sie das neue Jahr zusammen mit fröhlichen Menschen und guter Musik.«

Zeit. Zäh und teilnahmslos. Den Teufel werde ich tun, und sie mit oberflächlichem Partygeschwafel füllen.

Langsam wandert seine Hand über meine Brust, knöpft mühelos mein Hemd auf. Warme Finger streicheln meinen Unterbauch, schieben sich zwischen meine Beine.

Ich spreize sie weiter, denke nicht im Traum daran, mein Stöhnen zu unterdrücken, als diese Finger sich um meine Erektion schließen.

Er schätzt es und mich selbst befreit es.

»Lassen Sie die Vergangenheit ruhen, Mr. Green.« Behutsam reibt er glühende Lust in meinen Unterleib.

»Ich heiße Dorian«, erinnere ich ihn an einen Tag, der so lange zurückliegt, dass er kaum noch wahr ist. »Nennen Sie mich Mr. Green, wann immer Sie wollen, aber nicht in diesen Augenblicken.«

Es ist ein Spiel um Beharrlichkeit und Respekt. Nur in Momenten absoluter Nähe und ausschließlich mit meiner Erlaubnis nennt er mich bei meinem Vornamen.

Wir spielen es, seit sich seine Lippen um die steinharte Erektion eines tölpelhaften Jungen geschlossen hatten.

 

Ein schwüler Mittwoch Ende September. Mein siebzehnter Geburtstag lag hinter mir und ich verging vor Sehnsucht nach George. Ich wusste mir keinen anderen Rat und provozierte einen Unfall mit dem Fahrrad.

Ich wollte seine Berührung erzwingen. Nicht mit den Handschuhen, sondern mit seinen nackten, ungeschützten Fingern. Dass es sich dabei lediglich um meine aufgeschlagenen Knie handeln würde, störte mich nicht.

Meiner Mutter wurde übel beim Anblick von Blut. Sie würde mir demnach auch dann nicht helfen, wenn sie wider Erwarten zuhause wäre.

Ich nahm all meinen Mut zusammen, fuhr mit voller Geschwindigkeit gegen einen der zahlreichen Hydranten in den engen Kopfsteinpflasterstraßen. Ich muss geistig umnachtet gewesen sein, sonst hätte ich dieses Wagnis erst kurz vor unserem Haus begangen. So musste ich mich an den Reihenhäusern vorbeiquälen, bis die endlos scheinende Backsteinwand endlich endete.

Der Wagen von Silvester Greco parkte in der Einfahrt. Wut und Angst erfassten mich gleichzeitig. Ich hatte gehofft, bis auf George ein leeres Haus vorzufinden.

Blutend betrat ich das Entree.

Meine Mutter saß auf der Kommode, den Rock hochgeschoben, Mr. Grecos Hand darunter. Gierig leckte er über ihren Hals, während sein Unterarm in rhythmischen Bewegungen immer wieder im Schatten zwischen ihren Schenkeln verschwand.

Der Anblick erschütterte mich bis ins Mark.

Meine Mutter bemerkte mich, schrie auf und stieß Greco von sich. »Es tut mir leid«, schluchzte sie. »So unendlich leid.« Hektisch ordnete sie ihre Kleidung. »Vergiss, was du gesehen hast.« Sie eilte zu mir, nahm mich in den Arm. »Kein Wort zu deinem Vater, hörst du?«

Ich nickte, ohne zu wissen, was ich tat.

»Es wird alles gut, wenn du nur schweigst. Ich schwöre es dir.« Sie küsste mich auf die Stirn, floh aus dem Haus.

Greco folgte ihr, drehte sich in der Tür jedoch nach mir um.

Ohne ein Wort zu sagen, legte er den Zeigefinger auf seine Lippen.

Was geschehen würde, sollte ich mein Schweigen brechen, verriet mir der kalte Blick der für einen Mann ungewöhnlich großen Augen.

Mich packte nackte Angst. Sie ließ auch dann nicht von mir ab, als das Motorgeräusch längst verklungen war.

»George?« Ich rief so laut, wie ich konnte. »George!« Mir wurde schwindelig. Mein Herz begann zu rasen.

»George!«

Gemessenen Schrittes kam er aus der Küche. Sein achtsamer Blick erfasste die Situation, registrierte sowohl meine Verwirrung als auch das Blut, das mir die Schienbeine hinabrann. Er führte mich ins Badezimmer, streifte die Handschuhe ab. Für einen Augenblick vermochte ich es nur auf die gepflegten Hände zu sehen.

Während er mich fragte, was geschehen wäre, tupfte er über meine Wunden, berührte meine Knie so behutsam, dass ich trotz meines Entsetzens hart wurde. Ich weiß bis heute nicht, ob er es bemerkt hatte, doch er ließ seine Hände, seine warmen, sensiblen Hände, ungewöhnlich lang auf meinen Oberschenkeln liegen.

»Form wahren«, ermahnte er mich freundlich. »Auch dann, wenn es schwerfällt.«

»Mr. Greco hat meine Mutter …« Mir fehlten die Worte, um mich klar auszudrücken. »Was will er von ihr?« Die Unsinnigkeit dieser Frage entging mir in diesem Moment.

»Mr. Greco ist ein bedeutender Mann in gewissen Kreisen.«

Nur ein wenig wanderten seine Finger meine Schenkel hinauf. Es genügte, um meine Nerven in Brand zu setzen.

»Bedeutende Männer besitzen Macht und Macht birgt eine Gefahr, der Sie sich im Augenblick nicht stellen sollten.«

Er erhob sich, wusch sich mein Blut von den Händen. »Haben Sie noch einen Wunsch, Mr. Green?«, fragte er mit seiner sanften, ruhigen Stimme.

Ich schüttelte den Kopf, während meine Unterhose von innen feucht wurde.

Es war nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass sich in meinem Leben Entsetzen mit Lust mischte.

Von diesem Moment an befand ich mich nicht mehr in der Lage, mich von ihm fernzuhalten. Wann immer ich konnte, suchte ich seine Nähe.

Und er akzeptierte es.

Am leichtesten gelang es mir bei den Mahlzeiten.

Schob er mir den Stuhl zurecht oder servierte er mir das Essen, neigte ich meinen Kopf so, dass ich nicht nur seinen Duft wahrnahm, sondern auch die Wärme spürte, die von seiner Wange abstrahlte. Ich bildete mir ein, dass er es ebenso hielt. Niemandem fiel es auf. Mein Vater speiste so gut wie nie mit uns, da er nach wie vor selten vor Eintritt der Dunkelheit nach Hause kam, und meine Mutter ging mir noch konsequenter aus dem Weg als bisher.

Ich verstand sie und hoffte inständig, dass sie Recht behielt.

Alles würde gut. Die einzige Bedingung war mein Schweigen. Dennoch wuchs meine Angst um sie mit jedem neuen Tag. Auch wenn die Gefühle zu ihr an Tiefe eingebüßt hatten, für ihren Tod wollte ich nicht verantwortlich sein. Um dieser Sorge etwas entgegenzusetzen, arrangierte ich immer öfter Begegnungen mit George. Mein Lieblingsort wurde die Treppe. Ich stieg hinauf, wenn mir George entgegenkam. Statt aneinander vorbeizueilen, verharrten wir nebeneinander auf derselben Stufe. Wir sahen uns nie dabei an. Auch dann nicht, wenn ich mich einen Augenblick an ihn lehnte. Ich schloss die Augen, um mich von nichts ablenken zu lassen. Ich lauschte auf seine gleichmäßigen Atemzüge, bildete mir ein, dass sie schneller wurden.

Ein leises Räuspern seinerseits beendete die für mich elementar wichtige Vertrautheit.

»Form wahren, Mr. Green«, flüsterte er in diesen Momenten, gönnte mir jedoch noch einige Sekunden seiner Nähe, bevor er die Treppe hinabstieg.

Unzählige Male schlich ich nachts an seiner Tür vorbei und wünschte mir den Mut, anzuklopfen. Damals habe ich es nie getan.

Später jede Nacht.

 

Die Monate jagten sich. Von der angespannten Situation in der Gesellschaft bekam ich wenig mit. Mein Fokus lag auf den Veränderungen meines Körpers, der die Kindheit wie eine abgetragene Jacke von sich streifte.

Immer öfter kehrte mein Vater erst weit nach Mitternacht nach Hause zurück. Ich hörte ihn auf der Treppe poltern, vermochte es nicht, sein Lallen zu ignorieren.

Einige Male öffnete ich meine Tür einen Spalt und beobachtete, wie er sich von George in die Bibliothek statt ins Schlafzimmer führen ließ.

Um dort weiterzutrinken.

Er verlor seinen Halt. Innerlich als auch äußerlich, was mich als seinen Sohn am meisten abschreckte. Ich war es bisher nicht gewöhnt gewesen, dass sich mein Vater gehen ließ. Der graue Stoppelbart, die ungekämmten Haare und das stets schwammiger werdende Gesicht irritierten mich. Meine Mutter durchlebte ebenfalls eine Veränderung. Ihre schlanke Figur wurde hager, ihre Alabasterhaut fahl. Ganz gegen ihre Gewohnheiten blieb sie oft daheim. Auch Mr. Grecos Wagen bemerkte ich nicht mehr.

Es war der Morgen vor Silvester, an dem sich die Dinge entschieden, die mein Leben veränderten.

Die wütende Stimme meines Vaters weckte mich aus verworrenen Träumen. Er schrie meine Mutter an, beschimpfte sie auf eine Art, die mir fremd war. Begriffe wie Hureund fickengehörten nicht in unseren Sprachgebrauch.

Die Haustür fiel ins Schloss. An der Art, wie der Motor des Bentleys angelassen wurde, erkannte ich, dass mein Vater selbst fuhr. George ging mit allem behutsam um.

Ein beklemmendes Gefühl wuchs in mir. Ich hasste es, vermochte jedoch nicht, es zu verdrängen.

Auch wenn mir meine Eltern emotional nicht nah standen, es beunruhigte mich, wenn mein Vater meine Mutter eine Hure nannte. Ich hätte zu gern keine Ahnung gehabt, warum er es tat.

Etwas Elementares geriet aus den Fugen. Ich spürte sein Auseinanderbrechen, ohne es aufhalten zu können.

Ich stieg aus dem Bett, schlüpfte in Hose und Hemd und tappte barfuß die Treppe hinunter. Ich rief nach George, erhielt keine Antwort.

Auf der Suche nach ihm betrat ich die Küche. Auf dem Tisch lag ein Zettel.

Kommen heute Abend zurück. Das Frühstück steht im Kühlschrank. George hat seinen freien Tag, versorge dich bitte selbst.

Gruß, deine Mutter

War die Angst eben diffus gewesen, nun sprang sie mich an und erschütterte mich bis ins Innerste. Ich konnte nicht allein sein. Nicht in diesem Moment.

»George?« Vielleicht war er noch im Haus. Ich wollte ihn sehen. Wenigstens kurz. Während ich die Treppe hinauflief, überlegte ich mir eine Ausrede. Irgendeinen Grund, weshalb ich ihn rief.

Aus seinem Badezimmer plätscherte es. Es lag neben seinem Zimmer.

Ich sah meiner Hand zu, wie sie die Klinke hinunterdrückte, betete, dass abgeschlossen war.

War es nicht.

Nur ein Spalt. Nur ein Blick hindurch. George saß in der Badewanne, den Kopf nach hinten gelegt, die Augen geschlossen. Sein Gesicht war so entspannt, glänzte vor Nässe.

Einige Tropfen rannen über seinen gestreckten Hals.

Sein Kehlkopf stach hervor.

Unmöglich, wegzusehen.

Mir wurde heiß. So heiß, dass ich kaum Luft bekam. Meine Hand wanderte in meinen Schritt. Ich drückte, so fest ich es vermochte, gegen mein Glied. Vergebens, es war längst dabei, sich aufzurichten.

Ich wollte zurücktreten, die Tür leise schließen. Stattdessen fühlten sich meine Beine wie in Blei gegossen an.

George sah auf. Unsere Blicke trafen sich.

Ich nahm es wahr, konnte nicht reagieren. Alles in und an mir pochte.

Er stieg aus der Wanne, ohne sich in ein Handtuch zu wickeln.

Ich starrte auf das Wasser, das ihm über Brust und Bauch rann.

Ein schöner Körper. Über die Maßen schön.

Unter dem feuchten Glänzen seiner Haut wölbten sich Sehnen und Muskeln. Die Harmonie der Proportionen erfasste ich mehr mit dem Herz als mit dem Gehirn.

»Gilt Ihr Interesse mir oder Männern im Allgemeinen, Mr. Green?«, fragte er so unaufgeregt, als plaudere er übers Wetter.

»Ihnen«, keuchte ich. »Aber wenn Sie meinen Eltern etwas davon sagen, streite ich alles ab und mein Vater feuert Sie.« Ich war ein elender, feiger Verräter. Schämte mich zu Tode, während ich versuchte, meine Lust zu bändigen.

»Verstehe.« George bat mich mit einem Kopfnicken in die schwüle Wärme. »Nehmen Sie Platz.« Er wies auf den Badezimmerhocker und ich gehorchte. Schon, weil meine Knie weich wie Pudding waren.

»Ich werde nichts sagen«, stammelte ich. »Ich würde Sie nie verraten.« Mir war so wichtig, dass er mir glaubte. »Bitte verzeihen Sie mir.«

Nass, wie er war, kniete er sich vor mich. »Danke, Sir.« Er schob mein Hemd hoch, öffnete meine Hose.

Fasziniert schaute ich auf die Bewegungen seiner geschickten Finger.

»Darf ich die Hose hinunterziehen?«

»Ziehen Sie sie aus.« Ich konnte kaum sprechen. Alles in mir zitterte.

»Bitte heben Sie Ihr Becken an.« Keine Sekunde ließ sein Blick meinen los. »Nur ein wenig. Das wäre hilfreich.«

Erneut gehorchte ich. Unfähig, es zu unterlassen.

Er streifte sie bis hinab zu den Knöcheln, beugte sich über meine Mitte. »Sie zittern, Mr. Green.« Unendlich zärtlich küsste er meine Leisten.

Ich fiel in bodenlose Tiefe. Vor meinen Augen begann es zu flackern. Ein Glücksgefühl, so überwältigend, wie ich es noch nie erlebt hatte, flutete mein ganzes Sein.

Ich stöhnte, so laut, dass es mir peinlich war. Doch ich konnte es unmöglich verhindern. Fest presste ich die Lippen aufeinander.

»Bitte, Mr. Green. Unterdrücken Sie es nicht.« Sein Mund berührte flüchtig meine Spitze.

Ich zuckte zusammen, keuchte. Verging vor Angst, dass es mir kommen könnte.

Direkt an seinen Lippen.

Ich versuchte, die Bilder aus meinem Kopf zu verbannen.

Der milchige Samen an seinem Kinn. Was würde George sagen? Wäre er wütend? Würde er mich von sich stoßen? Oder ganz einfach nur das Malheur wegwischen?

Wie von fern hörte ich sein Seufzen.

»Es ist mir ein Genuss, Ihre Laute der Lust zu vernehmen, Mr. Green.«

Er liebte es. Mein Stöhnen.

Für einen Moment existierte nur dieser Gedanke.

»Nennen Sie mich nicht so.« Ich klammerte mich an den Hocker, kämpfte mit dem Schwindel. »Mr. Green. Das ist mein Vater, nicht ich.«

»Wie darf ich Sie denn nennen?« Seine Lippen zupften an meinen Schamhaaren.

Ich biss mir auf die Zunge, unfähig, die Stromschläge zu ertragen, die durch meinen Körper fluteten.

»Dorian«, keuchte ich, als es nachließ. »Nennen Sie mich Dorian.«

Er sah zu mir auf. »Bitte stöhnen Sie für mich, Dorian.«

Eine Sehnsucht im Blick, die mir den Atem verschlug.

»Der Moment ist zu kostbar, um ihn in Stille zu ertränken.«

Ich musste ihm nicht gehorchen, es geschah von selbst. Es war das Begehren in seinen Augen, das mich dazu trieb.

Sein Mund schloss sich um meine Erektion.

Ich schrie auf. Vor Schreck, vor Überwältigung.

Er saugte an mir. So heftig, dass es mir beinahe kam. Mit aller Macht versuchte ich, es zu unterdrücken, krallte mich so fest in meine Schenkel, dass es schmerzte. Mein Atem war bloß ein hilfloses Luftschnappen.

Er ließ von mir ab, nur ein wenig. Meine Spitze berührte weiterhin seine Lippen.

Sein, wenn auch nur flüchtiges, Lächeln überwältigte mich.

»Dieser Augenblick gehört zu den wenigen Ausnahmen, in denen keine Form gewahrt werden muss. Geben Sie sich ihm ganz und gar hin. Genießen Sie ihn, als wäre er das letzte Glück Ihres jungen Lebens.« Erneut verschlang er mein Glied, den Blick seltsam verklärt auf mich gerichtet.

Er genoss es. Genoss mich. Kein Ekel, keine Abscheu, nur Hingabe an einen jungen Mann, der dabei war, zu verglühen.

Ich hielt es nicht mehr aus, warf den Kopf in den Nacken, ließ meine Lust unartikuliert aus meiner Kehle dringen, während alles, was ich war, was ich fühlte, in Georges warmen Mund strömte.

Ich zitterte, bebte. Brauchte Halt, traute mich jedoch nicht, Georges Schultern zu fassen. Meine Hände krallten sich nach wie vor an meine Schenkel.

Mir wurde schwarz vor Augen. Das Gefühl zu fallen, zu schweben, zu sterben. Ein ständiger Wechsel. Ich steckte machtlos in seinem Strudel.

Unerträglich langsam ebbte er ab.

Als ich es vermochte, meine Lider zu öffnen, kniete George immer noch vor mir. Eine Sanftheit im Blick, die sich sacht wie ein Seidentuch auf mein Herz legte und alles Wunde, Verwirrende bedeckte.

Zwischen seinen Schenkeln erkannte ich seine Erregung. Sie tropfte aus seiner Spitze, die ich unendlich gern liebkosen wollte. Mir fehlte der Mut. Statt ihn zu fragen, ob ich ihm ebenfalls guttun sollte, fiel ich laut schluchzend nach vorn.

George fing mich auf. Hielt mich wie ein Kind.

Ich wusste es damals nicht und weiß es heute nicht, warum ich so bitterlich weinte.

Ich war verwirrt, über die Maßen glücklich, gleichzeitig so erschrocken, dass es mich schüttelte.

Ich erinnere mich nicht mehr, wie lange wir im Badezimmer verweilten, nur, dass ich irgendwann aufhörte zu weinen.

George half mir auf, zog mir die Hose hoch. »Es war mir eine Freude, Mr. Dorian.« Leise ging er aus dem Badezimmer.

Ich saß noch Stunden später auf dem Hocker. Unfähig zu erfassen, was geschehen war.

Als ich hörte, wie George das Haus verließ, fühlte ich mich so allein wie nie. Ich kehrte in mein Zimmer zurück, legte mich aufs Bett und realisierte, wie viel mir dieser Mann bedeutete. Mit niemandem würde ich darüber reden können. Meine Freunde prahlten von den Dingen, die sie mit ihren Mädchen anstellten, meine Eltern beschimpften sich, mein Onkel stand mir ebenso wenig nah wie mein Vater. Wie hätte ich mich ihm anvertrauen sollen?

Keiner der Jungen und Männer, die ich kannte, saugten einander den Samen aus.

Ein lustvolles Schaudern erfasste mich allein bei dem Gedanken.

Ich berührte meine Lippen, stellte mir vor, George zu küssen. Sofort erhöhte mein Herz den Takt.

Ich war siebzehn. Ihn schätzte ich auf etwa dreißig.

Heute weiß ich, dass er fünfunddreißig Jahre gewesen war und mit seinem Leben in dem Moment abgeschlossen hatte, als sich seine Lippen um mein Glied schlossen. Er ging davon aus, dass ich ihn verriet. Nicht aus Absicht, eher aus Versehen. Es wäre eine Katastrophe für ihn gewesen. Mir ist schleierhaft, weshalb er das Risiko für mich eingegangen war.

Ich habe ihn nie verraten, noch werde ich es jemals tun.

Heute weiß er es, damals hoffte er es lediglich.

 

Es wurde Abend, ohne dass meine Eltern heimgekommen wären. Irgendwann schlug die Uhr der Park Street Church elfmal. Eine Stunde, dann begann das Jahr 1924.

Plötzlich war mir die Luft zu stickig. Ich öffnete das Fenster, atmete tief ein. Ich blickte in den Himmel, erkannte einige Sternbilder und beschloss, mir die Zeit damit zu vertreiben, weitere zu finden. Ich löschte das Licht. Sofort zeigten sich die Himmelskörper klarer. Ich war noch nicht weit gekommen, als eine Silhouette im Schein der Gaslaternen in beachtlicher Geschwindigkeit die Straße entlang radelte und in unsere Einfahrt einbog.

George.

Er hatte seinen freien Tag. Es war Silvester. Weshalb feierte er nicht mit seinen Freunden oder seiner Familie? Besaß er überhaupt eine? Warum hatte ich ihn das nie gefragt? Ich wusste so wenig über diesen Mann.

Ohne die Geschwindigkeit zu drosseln hielt er auf das Haus zu, bis er aus meinem Blickfeld verschwand. Einen Moment später erlosch der helle Schein unter meiner Tür.

Das Geräusch eines Motors lenkte mich von meiner Verwunderung ab, dass George das Haus im Dunkeln betreten hatte. Doch es war nicht der Wagen meiner Eltern, der langsam über den Kies fuhr.

Meine Zimmertür öffnete sich, so leise, dass ich es nur anhand der sich ausbreitenden Schwärze bemerkte.

»Ich bin es, Mr. Green«, drang Georges Flüstern aus der Dunkelheit. »Kein Wort. Ihr Leben hängt davon ab.«

Unten krachte es.

George schloss die Tür hinter sich, huschte zum Fenster. »Zu hoch«, murmelte er und schloss es ebenso lautlos wie eben die Tür.

Poltern auf der Treppe, Stimmen, die ich nicht kannte.

Ich hörte, wie Türen aufgestoßen wurden. Die Geräusche kamen immer näher.

George packte mich, zog mich hinter den bodenlangen Samtvorhang. Sein Arm schlang sich um mich, seine Hand legte sich fest auf mein Herz. Die andere auf meinen Mund.

Ich meinte, vor Angst zu ersticken.

Ein Krachen, als hätte jemand die Zimmertür aufgetreten.

Licht sickerte durch den dicken Stoff des Vorhanges.

Ich erstarrte in Georges Umklammerung.

»Er ist nicht da!«, brüllte eine Männerstimme.

»Hier unten auch nicht!«, antwortete es von weiter weg.

»Habe ich doch gleich gesagt. Kein einziges verdammtes Licht brennt im Haus. Niemand hockt an Silvester im Dunkeln. Schon gar kein Kind.«

»Wie alt ist Greens Bengel?«

»Hab vergessen, ihn vorm Abdrücken zu fragen.«

Gelächter. Es drang in mein Bewusstsein wie Scherben.

Georges Hand drückte sich fester auf meinen Mund.

»Es ist Silvester, verfluchte Scheiße! Ich will feiern.«

»Sieh unter dem Bett nach.«

Ein Ächzen.

»Dort ist nichts«, klang es gedämpft. »Was ist mit dem Kleiderschrank?«

»Nichts.«

»Ich mag’s nicht, Kinder abzuknallen.«

»Danach fragt Greco nicht. Außerdem ist der Bengel keine fünf mehr, wenn ihn der Boss aus dem Weg haben will.«

»Er ist nicht da. Steckt vielleicht bei Freunden. Woher sollen wir wissen, wo die sind?«

»Kriegen wir raus.«

»Verdammt.«

»Komm.«

»Ich halte nichts von solchen Jobs.«

»Und ich halte nichts vom Sterben. Los.«

Die Schritte wurden leiser.

Erst als draußen der Motor ansprang, lockerte George seinen Griff.

»Ihre Eltern sind tot, Sir.« Sein Arm blieb um meine Brust geschlungen. »Ihr Onkel schickte eine Vertrauensperson zu mir. Er trifft Vorkehrungen, Ihr Leben zu retten.«

Meine Beine wurden weich, während mir George leise und eindringlich erklärte, was geschehen war. Mein Onkel hätte es kommen sehen, doch mein Vater wäre taub für seine Warnungen gewesen. Statt sich um seine und meine Sicherheit zu sorgen, wäre er in dem Wissen verloren gegangen, dass meine Mutter Grecos Geliebte gewesen war.

Nun lagen beide erschossen in einem von Grecos Speakeasies und bestochene Polizisten sicherten den Tatort.

Die Informationen schlugen Kerben in meinen Geist.

Das Gefühl, jemand Fremdes zu sein, nicht zu meinem Leben zu gehören, erfasste mich mit ganzer Macht. Ich taumelte aus Georges Arm, kämpfte mich hinter dem Vorhang hervor. Das Zimmer drehte sich um mich.

George führte mich zum Bett.

Ich weiß noch, wie ich an meinen Haaren zog, wie ich die Kante in meinen Kniekehlen spürte. Wie ich versuchte, die Wahrheit zu begreifen, und mich dennoch weigerte, sie in mein Herz zu lassen.

»Nehmen Sie sich Zeit«, sagte George leise. »So schnell werden sie nicht zurückkommen.«

»Was ist mit meinem Onkel?«, brachte ich erstaunlicherweise einen halbwegs klugen Gedanken zusammen.

»Er teilte mir mit, dass er sobald als möglich mit Ihnen in Kontakt treten wird.«

»Die wollten mich umbringen.« Der Gedanke war absurd. Warum sollte Greco einen Jungen töten?

»Besitzen Sie Kenntnis von der Rumdestillerie in der Spulenfabrik?« George hockte sich vor mich. »Ihr Vater hat Mr. Greco ins Handwerk gepfuscht. Im Laufe der Monate so sehr, dass selbst die Gunst Ihrer Mutter den Schaden nicht auszugleichen vermochte. Vermutlich fürchtet Mr. Greco, dass Sie mehr darüber wissen. Außerdem sind Sie auf eine gewisse Weise ein Zeuge, zumindest was das Abkommen zwischen ihm und Ihrer Mutter anbelangte.«

Er wusste, was ich damals im Entree mitangesehen hatte. Hatte er gelauscht, mich beobachtet? Oder einfach nur die Fakten zusammengereimt?

»Ihr Onkel wird für Sie sorgen, bis Sie volljährig sind.« George legte seine Hände auf meine Knie. »Bitte geben Sie sich nicht der Hoffnungslosigkeit hin.«

»Soll ich Form wahren?«, schrie ich ihm entgegen. »Die Schultern straffen?« Meine Eltern waren tot. Ohne George wäre ich es ebenfalls gewesen. Ich stieß ihn von mir, sprang auf, tigerte im Zimmer auf und ab. Ich atmete, als hätte ich es nie zuvor getan, bis ich meine Hände kaum noch spürte und mir die Sicht verschwamm.

George fing mich auf, als meine Beine unter mir wegglitten, führte mich erneut zum Bett. »Manchmal bleibt nur diese eine Möglichkeit, auf Katastrophen zu reagieren, Mr. Green.« Er strich mir die Haare aus der Stirn, fühlte nebenbei meinen Puls. »Der härteste Verlust wird durch die Zeit gemildert, Sir. Und Sie sind sehr jung. Noch ist die Zeit Ihr Freund.«

»Ich liebte sie nicht.« Ich hörte meine Worte und schämte mich dafür. »Aber ich will auch nicht, dass sie tot sind.« Die verzweifelten Versuche, das Unbegreifliche zu erfassen, scheiterten. Das Wissen, dass meine Eltern ermordet worden waren, existierte ausschließlich in meinem nachlassenden Verstand. Mein Herz blieb unberührt.

Damals fühlte ich mich als der schlechteste Sohn auf Gottes Erdboden.

»Bald kommt Ihr Onkel. Er wird die Situation für Sie erträglicher gestalten.« Seine Hände wanderten höher, strichen an meinen Armen hinauf, über die Schultern bis zu meinen Wangen.

Ich schmiegte mein Gesicht hinein. »Sollten wir nicht die Polizei allarmieren?« Der zweite vernünftige Gedanke. Ich war über mich selbst erstaunt.

»Das würde nichts bringen.« Seine Daumen streichelten an meinen Lippen entlang. »Zweifelsfrei hat die Polizei den Mord zugelassen.« Sein sanfter Blick glitt in meinen. Tief dahinter ahnte ich seine Angst, den eben ausgestandenen Schrecken. Doch er nahm beides zurück, beherrschte es, um für mich Form zu wahren.

Ich war ihm so unendlich dankbar dafür.

Lange sahen wir uns nur an. Ich bekämpfte meine Panik, stützte mich an Georges innerer und äußerer Haltung.

»Gibt es etwas, das ich für Sie tun kann, Mr. Green?« Seine Hände lagen nach wie vor an meinen Wangen.

»Nennen Sie mich Dorian.« Ich bemerkte, wie mein Kopf gegen den Druck seiner Hände nach vorn sank.

Unsere Lippen berührten sich.

Ich roch und schmeckte eine Spur Whiskey, durchmischt mit dem Rauch von Zigaretten. Natürlich. Es war Silvester. George hatte bis zu dem Augenblick, an dem ihn die Nachricht meines Onkels erreichte, gefeiert.

Ich weiß heute noch nicht, mit wem und ich werde ihn nicht danach fragen.

George packte mich an den Schultern, versuchte, mich von sich wegzudrücken.

»Bitte«, nuschelte ich an seinem Mund, ohne wirklich zu ahnen, was ich von ihm erflehte.

»Sind Sie sich sicher, Dorian?« In seiner Stimme lag ebenso viel Zweifel wie Sehnsucht.

Ich habe vergessen, ob ich nickte oder Ja sagte. Ob ich überhaupt auf diese Frage in angemessener Weise reagierte. Doch ich erinnere mich sehr deutlich daran, wie sich sein Blick veränderte.

Für die nächsten Stunden wurde er meine Zuflucht.

Ich blieb in ihm geborgen, als er seine und meine Kleidung abstreifte, ich verharrte in ihm, als er meine Schenkel spreizte und sich auf mich legte. Auch als er seine Fingerkuppen mit Speichel benetzte, sahen wir uns an.

Nur in dem Moment des Schmerzes, als ich fühlte, wie er in mich drang, schloss ich für einige gekeuchte Atemzüge meine Lider. Sein inniger, überaus zärtlicher Kuss öffnete sie mir erneut.

Er ließ erst dann von meinen Lippen ab, als mir nie gekannte Laute aus der Kehle strömten.

Seine Pupillen weiteten sich, während er mich im Höhepunkt meiner Lust betrachtete. Er kostete es bis zum Ende aus, bevor er sich in mir ergoss.

Mit einem leisen, unendlich dankbaren Stöhnen.

Er hielt mich noch eine Weile im Arm. Liebkoste meinen Hals, meine Schläfen. Immer wieder fuhren seine Finger durch meine Haare. Irgendwann erhob er sich, verließ mit den Worten, sofort wiederzukommen, mein Zimmer.

Ich blieb liegen. Unfähig, auch nur an Bewegung zu denken.

Eine derart elementare Erschöpfung hatte ich nie zuvor gespürt.

In einen Morgenmantel gehüllt und mit einer Waschschüssel kehrte er zurück zu mir. Behutsam entfernte er die Spuren, die seine und meine Lust an und in mir hinterlassen hatten.

Statt mich aus dem Bett zu bitten, um ein Laken aufzuziehen, legte er mir lediglich ein Handtuch unter.

»Ihr Onkel wird bald nach Ihnen sehen. Ich halte es für angemessen, wenn er uns bekleidet vorfindet.« Er suchte frische Sachen aus dem Schrank, in dem vor Kurzem noch die Mörder meiner Eltern nach mir gesucht hatten.

Mir wurde übel, aber ich kämpfte es hinunter.

George half mir beim Ankleiden. Als er den Kragen meines Hemdes zurechtrückte, streichelte er sacht über meine Wange. »Ich bin in der Küche, sollten Sie mich brauchen.«

Ich wollte seine Hand festhalten, sie überreden, mich weiter zu streicheln. Doch ich sah ihm nur dabei zu, wie er seine Anziehsachen nahm und ging.

Mein Onkel kam irgendwann, zog mich in seinen Arm und versprach mir, dass alles gut werden würde.

Seine Umarmung fühlte sich verzweifelt, nicht tröstend an. Insbesondere da seine Worte nicht der Wahrheit entsprachen. Er kündigte George zwei Tage nach der Beerdigung meiner Eltern.

Ich werde den Moment niemals vergessen, als George mit nur einem Koffer in der Hand im Entree stand und zu mir aufblickte. Ich verweilte auf der Treppe, die Augen zu trocken für auch nur eine einzige Träne.

Mein Onkel faselte etwas von treuen Diensten und drückte ihm einige Geldscheine in die Brusttasche seines Mantels.

George beachtete ihn nicht. Sein Blick blieb bei mir, wie in jener Nacht.

»Leben Sie wohl, Mr. Green.«

»Ich liebe Sie.« Laut und klar vernahm ich meine Stimme, füllte sie mit Wahrheit, bis nichts anderes mehr existierte.

Ich hörte das erschrockene nach Luft schnappen meines Onkels, ahnte sein Erstarren, während ein feines, wenn auch zutiefst schwermütiges Lächeln Georges Lippen umspielte.

Mein Onkel schwieg sich über dieses Ereignis aus. Er verkaufte die technischen Anlagen der Fabrik und starb wenige Jahre später an einem Hirnschlag, noch bevor die Wirtschaftskrise begonnen und die Prohibition geendet hatten.

Mit einundzwanzig Jahren befand ich mich im Besitz eines für meine Verhältnisse zu kostspieligen Hauses, einer maroden Destillerie, ein paar auf Karteikarten gekritzelter Kontakte in Puerto Rico und drei Dutzend Fässer Zuckerrohrmelasse. Aus der Not heraus entwickelte ich ein gewisses praktisches Geschick, was zumindest dazu ausreichte, die Destillerie in der mittlerweile bis auf besagten Lagerraum leerstehenden Fabrik in Stand zu setzen. Sie in Betrieb zu nehmen wagte ich jedoch nicht. Das Alkoholverbot interessierte mich dabei wenig. Aber Big Greco umso mehr. Auf der Beerdigung meines Onkels, auf der er mit angemessener, wenn auch geheuchelter Trauermiene erschien, nahm er mich zur Seite und verdeutlichte mir in einfühlsamen Sätzen, was er von Konkurrenz hielt, und wie er mit ihr umzugehen pflegte.

Ich nickte schweigend.

Er tätschelte mir die Wange, nannte mich einen braven Jungen, während ich mir schwor, ihn eines Tages auf offener Straße zu erschießen.

Nicht aus dem Hinterhalt. Oh nein. Frontal. Damit er wusste, wessen Namen sein Tod trug.

Zur damaligen Zeit spielte ich mit mir und meinem Leben ein gefährliches Spiel. Ich besuchte Grecos Flüsterkneipen, betrank mich, bis die guten und schlechten Erinnerungen der letzten Jahre von mir abfielen, und ging konsequent sämtlichen attraktiven Männern aus dem Weg.

Niemals hätte ich Georges Andenken mit fremdem Sperma in mir besudelt.

Das Geld, das mir mein Onkel hinterlassen hatte, ermöglichte mir ein bescheidenes, aber nicht beschämendes Leben.

Personal einzustellen kam für mich nicht in Frage. Erstens, weil kein Hausmädchen seinen Ruf unter dem Dach eines ledigen jungen Mannes mit zweifelhaftem Leumund riskiert hätte, und zweitens, weil ich längst begonnen hatte, mich mit meiner Einsamkeit zu arrangieren. Außerdem hielt ich es für fair, niemanden in meine zukünftige Verbrecherkarriere zu involvieren.

Es war ein Leichtes, in den Hafengassen einen Revolver aufzutreiben. Ich ließ mich in seine Funktion einweisen und deponierte ihn wenig originell in meinem Nachttisch. Der Tag, an dem ich ihn bräuchte, würde kommen. Dessen war ich mir gewiss.

Das Jahr verrann und eines Morgens blickte ich ins fahle Gesicht eines kalten Silvestermorgens.

Wie die Jahre zuvor war mir auch dieses Mal bewusst, dass ich zum Jahreswechsel nicht ausgehen würde.

Silvester erfüllte und erfüllt mich heute noch mit einem Potpourri beeindruckender Emotionen. Todesangst, unermessliche Lust, das Gefühl tiefer Verbundenheit gepaart mit einer Leere, die ich lediglich mit Alkohol aufzufüllen vermag.

Ende 1927 bestand meine Dosis aus drei Flaschen Champagner. Sie entstammten dem Vorratskeller meiner Eltern und ich hielt den Anlass, sie zu öffnen, für angemessen.

Der Tag verging, ohne sich an meinen Befindlichkeiten zu scheren. Ertrug ich es zuerst noch im Salon bei Radiomusik und dem flüchtigen Durchblättern der Zeitung, zog es mich gegen Abend in mein Zimmer zurück.

Ich stellte den Champagner auf Eis, öffnete das Fenster bis zum Anschlag. Kälte beruhigt mich und auch damals hieß ich sie willkommen.

Die ersten Gläser stürzte ich hinunter. Dann entledigte ich mich meiner Kleidung, genoss das Gefühl der Gänsehaut und begann, mich zu berühren.

Ein Ritual, das ich täglich pflegte. Es besänftigte meine Nerven auf eine ähnliche Weise wie der Alkohol.

Motorengeräusche in der Auffahrt.

Die Unwirklichkeit dieses Geräusches verwirrte mich. Niemand wäre auf die Idee gekommen, an Silvester meine Zeit zu stehlen. Zumal ich an den anderen Tagen des Jahres ebenfalls bemüht war, jeden von mir fernzuhalten.

Ich trat nackt, wie ich war, ans Fenster.

Ein Taxi hielt vor dem Haus. Der Fahrer stieg aus, ging um den Wagen und öffnete einem Herrn die Beifahrertür.

George.

Für einen Moment traute ich meinen Augen nicht.

Er sah hinauf. Ein flüchtiges, unendlich freundliches Lächeln auf den Lippen.

Ich nickte ihm zu, die stumme Frage, ob ich seine Dienste in Anspruch nehmen wollte, nur ahnend.

Er nickte zurück, bezahlte den Fahrer und wenige Augenblicke später erklang die Türglocke.

Splitterfasernackt eilte ich die Treppe hinab, riss die Tür auf und zog ihn in eine verzweifelte Umarmung.

Zögernd legten sich auch seine Arme um meine nackten Schultern. »Sollten Sie meine Hilfe benötigen, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung, Mr. Green.«

»Ich weiß nicht, ob ich Sie angemessen bezahlen kann.« Ich nuschelte die bittere Wahrheit in den Kragen seines Mantels. »Aber was ich besitze, gehört Ihnen, wenn Sie bleiben.«

Sein leises Räuspern erinnerte mich an meine unangemessene Erscheinung und ich trat, peinlich berührt, zurück und bat ihn ins Haus.

»Form wahren«, sagte er leise beim Vorbeigehen. »Die eigenen Schwächen sind niemals für fremde Augen bestimmt.«

»Sie sind mir vertrauter, als ich es mir selbst bin.«

Leicht neigte er den Kopf. »Dann danke ich Ihnen für Ihr Vertrauen und bete, dass ich es nie enttäuschen werde.«

Ich schluckte an der Freude, ihn wiederzuhaben, die sich ähnlich elementar in meiner Kehle anfühlte, wie tief empfundene Trauer.

Ich bat ihn, mir auf mein Zimmer zu folgen.

Während wir den Champagner Glas für Glas leerten, spreizte ich immer wieder meine Beine und verführte seinen Mund dazu, mich mit seinen Liebkosungen zu verwöhnen.

Als die Kirchturmuhr Mitternacht schlug, drang George in gewohnt sanfter Weise in mein Inneres und füllte mich bereits beim letzten Schlag mit feuchter Hitze.

Schwer atmend lagen wir danach beisammen, ohne dass auch nur ein einziges Wort über unsere wundgeküssten Lippen gekommen wäre.

Am Morgen erwachte ich allein im Bett. Nur in Morgenmantel und Pantoffeln eilte ich in die Küche, voll Sorge, es könnte sich um einen Traum gehandelt haben.

George war dabei, Tee zu kochen und ein Frühstück zuzubereiten. Er sah von seiner Arbeit auf, lächelte freundlich. »Ein gesegnetes neues Jahr, Mr. Green.«

»Ihnen auch, George.« Auf dem Weg zum Salon wurde mir schwindelig vor Dankbarkeit. Ich nahm an dem bereits eingedeckten Tisch Platz, den ich seit Jahren gemieden hatte. Eine Kleinigkeit in der Küche und meist im Stehen zu mir genommen, waren meine einzigen Mahlzeiten gewesen.

George betrat den Raum, das Silbertablett mit dem frisch aufgebrühten Tee waagerecht auf dem Handteller.

Während er mir einschenkte, erzählte ich ihm von dem Plan, Big Greco zu töten. Er nickte, statt erschrocken zurückzuweichen, und bot mir seine Hilfe an. Am Dreikönigstag chauffierte er mich im Bentley meines Vaters zu der Flüsterbar, in der Mr. Greco die meisten Abende verbrachte.

Die Mischung aus Verwunderung, Respekt und Todesangst im Blick des Italieners, als er am Pissoir stehend erkannte, wer der Mann neben ihm war, der einen Revolver zog, statt sein Glied nach dem Erleichtern zu verpacken, werde ich niemals vergessen.

Nachdem ich meine Kleidung gerichtet hatte, bat ich Mr. Greco höflich, mir durch den Hinterausgang zum Wagen zu folgen. George fuhr uns zum Ufer des Charles Rivers, ich forderte Greco auf, auszusteigen, und ignorierte sein Angebot, mich an seinen Geschäften zu beteiligen.

Es ist beeindruckend, wie schnell sich ein blütenweißes Hemd rot zu färben vermag.

 

Ein sanftes Saugen an meiner Kehle holt mich zurück in die Gegenwart. Die Berührung zwischen meinen Schenkeln lässt mich seufzen. »Muten Sie mir nie wieder Silvestereinladungen zu«, flüstere ich in sein Ohr. »Es sei denn, sie stammen von Ihnen.«

Ich spüre sein Schmunzeln an meinem Hals. »Dann möchten Sie die Silvesternacht wie üblich verleben, Sir?«

»Unbedingt.«

»Wie Sie wünschen, Dorian.«

 

 

Erschienen in „Ein Feuerwerk der Gefühle“, Kuschelgang 2017

 

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