Eine Drohung?
Sein Blick sagt ja, wobei ich gern wissen würde, mit was er droht. Teshi ist zwar fast so groß wie ich, jedoch von schmalerer Statur. Entweder er gräbt eine mysteriöse Kampftechnik aus, die es mit meinen Nahkampferfahrungen aufnehmen kann, oder er zaubert etwas Subtileres aus dem Hut.
Ich bin versucht, mit den Zähnen zu knirschen. Von Socken-Joe Cutter lässt er sich die Lippen abbeißen und ich darf nicht einmal in ihre Nähe. »Ich warte im Wagen.« Plötzlich ist mir das Badezimmer zu eng.
Teshi sieht mir nach. Ich bin sensibel, was das Kribbeln im Nacken angeht. Mich überkommt der kindische Wunsch, ihm beim Hinausgehen den Mittelfinger zu zeigen. Da ich es nicht nötig habe, lass ich diesen Schwachsinn.
Cutter ist verschwunden. Wie angekündigt steht ein Aktenkoffer neben der Tür. Kein Zahlenschloss.
Ich soll Teshi keine Fragen stellen. Dann muss ich mich selbst darum kümmern, dass ich Antworten erhalte.
Ich klappe das Ding so leise wie möglich auf.
Persönlicher Kram. Ein gestreifter Schal, grobe Maschen. Ab und zu ein Fehler im Muster. Eindeutig selbst gestrickt. Das Foto eines pausbäckigen Jungen, der einen Plastikdinosaurier in die Kamera hält, das Abschlusszeugnis der James Madison Memorial High Scool. Dan Murray. Jahrgang 1979.
Was will Teshi mit dem Zeug? Mit einem Schal lässt sich niemand erpressen. Auch dann nicht, wenn er schlampig gestrickt wurde. Es sei denn, Blut oder Sperma würde an ihm kleben. Noch besser: beides. Auf den ersten Blick fällt mir nichts Kompromittierendes ins Auge.
Ich schließe den Koffer, schnappe mir den Arbeitsvertrag und stopfe ihn in meine Jackentasche. Auf dem Weg nach unten ertrage ich erneut die weihnachtliche Dudelmusik des Fahrstuhls.
Ich habe einen Vertrag unterschrieben, der eher nach Eheversprechen klingt, und das mit roter Tinte. Entweder bin ich verrückt, dieser Cutter oder Teshi.
Mich packt die Sehnsucht nach einer Zigarette, als ich mich an den Wagen lehne und versuche, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Ich rauche selten. Nur in Notfällen. Offenbar handelt es sich um einen.
Stand in dem Wisch etwas von Kündigungsfrist? Ich lese ein zweites Mal über die Zeilen. Das Papier ist dick, raue Oberfläche. Wirkt ebenso antiquiert wie exklusiv.
… bis zu dem Zeitpunkt, an dem er mich persönlich daraus entlässt. Demnach hänge ich auf Gedeih und Verderb an der Leine eines smarten Asiaten. Richtig, ich habe schließlich mein Leben in die Waagschale geworfen. Was auch immer er damit gemeint hat.
Ich streiche den Bogen auf meinem Oberschenkel glatt, falte ihn ordentlich zusammen und verbanne ihn in die Innentasche meiner Jacke. Nelly erfährt besser nichts von dem Deal. Könnte mir vorstellen, dass die alte Dame mich entweder auslacht, oder ihr sauer Erspartes wegen mir einem Anwalt in den Rachen stopft. Rein zur Sicherheit.
Kurz nach Mitternacht. Wir kommen zu spät.
Du wirst es büßen.
Gar nichts wird Teshi. Ich werde ihn einfach nicht aus den Augen lassen, bis Cutter an Altersschwäche stirbt.
In Mantel und mit Aktenkoffer in der Hand eilt Teshi aus dem Hotel. Ich öffne für ihn die Beifahrertür, doch er nickt zum Fond.
Natürlich. Ich bin der Chauffeur, er ist mein Boss. Klar, dass er nicht neben mir sitzen wird.
»Verzeihung, Sir«, murmele ich und scheiße auf das Du. Er will es formell? Kann er haben.
»3330.«
»Bitte?« Ich kämpfe mich aus meinem Ärger.
»Die Hausnummer. Beeil dich.«
»Selbstverständlich, Sir«, geht mir wie Butter von den Lippen. Während der folgenden fünfzehn Minuten herrscht Schweigen.
3330. Das Gebäude gehört einer Versicherungsagentur. Nur ein einziges Fenster im zweiten Stock ist beleuchtet. Die Zufahrt zum Parkplatz ist abgesperrt.
Teshi tippt eine Nachricht ins Handy. Unsere Blicke treffen sich im Innenspiegel. »Warte auf mich.«
»Sie sind der Boss.«
»Bitte nenne mich Teshi.« Sein zaghaftes Lächeln schleicht sich direkt in mein Herz. »Die fragile Vertrautheit zwischen uns ist ein Geschenk für mich. Zerschlage es nicht, nur weil ich dich gekränkt habe.«
»Hast du nicht.« Woher kommt dieses warme Gefühl in meiner Brust? Es wächst, während ich ihn ansehe.
Das Lächeln verschwindet. »Du bist ein schlechter Lügner, Getty. Männer wie du sollten sich ausschließlich mit der Wahrheit umgeben.«
»Was ist mit Männern wie dir?« Erneut stürmen tausend Fragen auf mich ein.
»Ich lüge nicht.« Er richtet seinen Schal, löst den Gurt. »Ich schweige.« Langsam wandert eine silbergraue Braue nach oben. »Öffnest du mir die Tür?«
Wie angestochen springe ich aus dem Wagen, um das zu tun, wofür er mich bezahlt. Was bezahlt er überhaupt? Im Vertrag stand nichts dazu. Ich bin ein Idiot, so einen Mist zu unterschreiben. Bei Gelegenheit werde ich das Thema noch einmal zur Sprache bringen.
Ich öffne ihm die Tür, verkneife mir das Sir, nur, weil er mich darum gebeten hat. »Wird es so sein wie gestern Nacht?« Ich mache mir Sorgen um ihn.
»Nein.« Geschmeidig wie ein Tänzer steigt er aus. »Es wird schlimmer. Ich bin zu spät dran.«
»Was ist das für ein Termin?« Ich fasse sein Handgelenk eine Spur zu fest. »Ich weiß, ich soll nicht fragen, aber …«
»Ich habe dich mit Bedacht ausgewählt.« Er legt seine Wange an meine. »Cutter war anfangs dagegen, dich anzustellen. Ich musste ihn überzeugen.«
»Wie?« Ich will es nicht wissen.
Doch. Ich will es wissen. Haargenau.
»Keine Fragen.« Seine Nasenspitze streift mein Ohrläppchen. »Ich wünschte, ich dürfte dich küssen.«
»Tu es.« Zum Teufel mit meinen mitleidzerfressenen Vorsätzen.
»Hier geht es.« Ein sachter Kuss auf meine Wange. »Hier auch.« Ein zweiter auf meinen Hals.
Ich neige den Kopf zur Seite, lade ihn zu einem dritten Kuss ein.
Teshi folgt dem Wink. Seine Lippen saugen an meiner Haut. Ich spüre deutlich seine Zähne. Binnen Sekunden stehe ich in Flammen. Bei zehn Grad minus und sternklarem Himmel. Diese Art von Intimität habe ich so lange nicht mehr gefühlt.
»Doch niemals auf den Mund.«
»Weshalb nicht?« Dunkel erinnere ich mich an eine lächerliche Drohung im Badezimmer.
»Eine von Cutters Regeln.«
»Zur Hölle mit Cutter«, wispere ich in sein Haar. »Was er dir auch gibt, ich gebe es dir besser und öfter.«
Teshi lacht. Sein Atem streichelt mich dabei. »Was er mir gibt, sollst du mir nicht geben. Ich würde verzweifeln.« Seine Hand an meiner Wange. Sie zittert. Ich nehme sie in meine, halte sie einen Moment. »Was meint er mit büßen?«
»Genau das, was er sagt.«
»Er darf dir nicht wehtun.«
»Das tut er nicht.«
»Ich habe gesehen, wie du gezittert hast, als er dich anfasste.«
»Du hast gesehen, was du sehen wolltest, Getty. Diesen Fehler begehen alle Menschen.«
»Du zitterst jetzt.«
»Es ist kalt.«
»Du hast Angst.«
»Ja. Aber nicht vor Cutter.«
»Vor was dann?«
»Vor deinen zukünftigen Gedanken.«
Gut, in diesem Spiel bin nicht ich der Verrückte.
Wind greift ihm ins Haar, weht ihm eine Strähne seines Zopfes über die Schulter.
Ich fange sie zwischen meinen Fingern ein.
»Eine Stunde.« Er zieht sie aus meinem Griff. »Länger musst du nicht auf mich warten.« Er bückt sich unter der Absperrung hindurch, eilt über den Parkplatz.
Die Tür des Gebäudes öffnet sich. Ich erkenne die Silhouette eines Mannes.
»Krümme Teshi ein Haar, und du wirst es bereuen«, drohe ich dem Fremden, von dem ich nicht einmal mit Sicherheit sagen kann, ob es sich wirklich um einen Mann handelt. Welche Rolle der Strickschal spielt, ist mir ebenfalls ein Rätsel. Aber spontan kommt der Wunsch auf, Cuttler damit zu erwürgen.
Schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite ist eine Tankstelle. Ich habe mir eine Zigarette verdient und ein frischer Kaffee wäre auch eine Freude.
Nachts um kurz nach zwölf ist auf der University Ave nicht viel los. Ich schlendere unbehelligt über die Straße.
Eine Stunde.
Ich kaufe einen Kaffee, Zigaretten und Kaugummis. Mein magisches Trio. Für einen Moment sehe ich Nuris weißblitzende Zähne.
Er ist gerannt wie ein Hase, als er mir das Funkgerät gestohlen hat. Er hätte sich nicht umdrehen dürfen.
Dann wäre er jetzt tot.
Den Kloß in meiner Kehle räuspere ich weg, während ich mir die Hände am Coffee to go – Becher wärme.