Teshi atmet auf, nimmt mir den sogenannten Vertrag aus der Hand und pustet meinen feucht glänzenden Namenszug trocken.
»Hier, das Duplikat.« Socken-Joe reicht mir ein zweites Blatt Papier. »Eines für Sie, eines für Teshi.«
»Solange keins für Sie ist.« Um nichts in der Welt würde ich für einen Kerl wie ihn arbeiten wollen.
Socken-Joe lächelt. Er hat schmale Lippen. Zu schmal für meinen Geschmack.
Auch auf das Duplikat setze ich meinen Schnörkel in leuchtendem Rot. »Angemessen dramatisch. Schlichte Geister würden es überzogen nennen.«
»Wir sind schlichte Geister.« Dieses Mal nimmt mir Socken-Joe den Vertrag ab. Er pustet nicht, er schwenkt ihn sacht hin und her.
»Ich bin spät dran.« Teshi dreht mir den Rücken zu. »Nimm Platz, während ich mich umziehe.« Er spricht über die Schulter zu mir, zeigt mir sein Profil.
Ich verstehe, warum sich Maler in ihre Modelle verlieben.
Trotz der knappen Zeit streift er sorgfältig und langsam eine Schicht nach der anderen dieser offenbar komplizierten Kleidung ab. Ich setze mich neben Socken-Joe, dessen hellblaue Augen eindeutig genießenden auf Teshi gerichtet sind.
Was mir nicht passt. Ganz und gar nicht.
Das seidenschimmernde Unterkleid gleitet von Teshis Schultern. Den Blick abgewandt, nackt, wie Gott ihn schuf, sehr schlank, sehr schutzlos unserer Aufmerksamkeit ausgeliefert.
Ich will ihn berühren. Sanfter, als ich jemals einen Menschen berührt habe. Ich will dieses helle, fließende Seidendings aufheben, seine Blöße damit verbergen, bevor ich Socken-Joe aus dem Zimmer prügele.
»Er ist schön«, murmelt der und faltet die Finger unter dem Kinn. »Ich genieße diesen Anblick jedes Mal.«
»Dann sehen Sie ihn häufiger so?«, stelle ich mich gelassen, während ich innerlich die Fäuste balle.
»Immer, wenn es sich einrichten lässt.« Er streckt die Hand aus.
Teshi erwacht aus seiner Starre, tritt vor ihn.
Ich rieche seinen Duft.
»Senpai, heute nicht.« Teshi zuckt zusammen, als sich Socken-Joes Hände auf seine Hüften legen. »Ich werde zu spät kommen.«
»Und es büßen.« Wieder dieses sichelschmale Lächeln.
Mir rinnt eine Gänsehaut über den Rücken.
Der Kerl schmiegt sein Gesicht an Teshis Leiste. »Du hast Recht. Du solltest dich beeilen.«
Teshi schließt die Augen. Sein Kehlkopf hüpft hinauf und hinab.
Es ist eindeutig. Er hat Angst. Ich habe dieses Gefühl zu oft erlebt, zu oft gesehen, um es nicht zu erkennen.
»Ich werde dir helfen.« Mich zu erheben und Teshi den Arm um die Schulter legen, ist eins. »So weit ich mich an das Geschwafel meines Vertrages erinnere, liegt dein Wohl in meinen Händen.« Ich bedenke Socken-Joe mit einem klärenden Blick und führe meinen Schützling ins Badezimmer. »Was ist das zwischen euch?« Bereits beim Fragen ist mir klar, dass es mich nichts angeht. »Und warum nennst du ihn Senpai?«
»Weil er mein Senpai ist.«
Den Begriff habe ich schon einmal gehört. Muss nicht wichtig gewesen sein, sonst hätte ich mir seine Bedeutung gemerkt. »Hat dieser Senpai auch einen Namen?«
»Cutter.« Teshi zittert, lehnt sich nackt, wie er ist, an mich.
Ganz von allein schließen sich meine Arme um ihn. »Habt ihr so ein komisches Dominanz-Ding laufen?«
Teshi schüttelt den Kopf. »Ich darf es dir nicht erklären und selbst wenn, würdest du es nicht verstehen.«
»Spar dir diese Floskeln. Ich besitze ein Hirn. Versuch’s.« Ich packe ihn an den Schultern, drücke ihn von mir weg. In solchen Momenten muss man sich in die Augen sehen.
»University Avenue. In zehn Minuten müssen wir dort sein.«
»Nackt?« Seine Haut fühlt sich an wie Samt. Meine Fingerspitzen lieben es, über sie hinweg zu streichen.
»Ganz sicher nicht.« Cutter betritt das Badezimmer. Er hängt einen Kleiderbügel mit einem Anzug an den Haken und legt ein weißes, zusammengefaltetes Hemd auf den Waschtisch. Socken und Unterwäsche folgen. Ebenso ein Gürtel. »Der Koffer steht neben der Tür.« Er fasst Teshis Handgelenk, zieht ihn von mir weg. Er schnappt sich dessen Kinn mit Daumen und Zeigefinger. »Wir sehen uns später, Kōhai.«
Doch ein Dominanz-Ding. Ich verdrehe die Augen in dem Moment, als mich Cutters Blick trifft. Soll er doch mitbekommen, wie sehr mich diese Art von Machtspielchen nerven.
Er drückt Teshi mit dem Rücken an die kalten Fliesen, presst seine Lippen auf dessen Mund.
Ohne seinen verdammten, provozierenden Mist-Blick von mir zu wenden.
Er nötigt Teshi seine Zunge auf, scheint ihn austrinken zu wollen.
Teshi ballt die Fäuste, senkt die Lider. Ein seltsamer Laut entkommt seiner Kehle.
Lust? Er steht auf den Kuss. Was sollen dann die Fäuste?
Ist nicht meine Art, zwei Männern bei solchen Aktionen zuzusehen. Ich sollte das Bad verlassen und vor der Tür irgendetwas Wertvolles zertrümmern.
Meine Beine bewegen sich nicht vom Fleck.
Teshi ist gefangen in diesem Kuss. Er genießt ihn, erleidet ihn, hält ihn aus, will mehr.
Ich küsse nicht.
»Sergeant Getty, deine Küsse machen mich irre.« Nuri schmilzt in meinem Arm. »Gib mir mehr davon.« Er beißt mir in die Unterlippe.
Ich lausche nach draußen in den Waschraum. Eine Klokabine. Der jämmerlichste, jedoch sicherste Ort, um eine Handvoll Zärtlichkeiten auszutauschen. Nuri ist Zucker und Sahne in meinem sonst zu bitteren Tee. Er lässt mich für ein paar Augenblicke vergessen, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, auf eine Mine zu treten oder einem Heckenschützen vor den Lauf zu stolpern. Seine fantastischen, gierigen Lippen verscheuchen die Erinnerung an Bob, dem Ersteres passiert ist, und Steve, der Variante zwei zum Opfer fiel. Bob lebt noch. Er muss lediglich mit einer Prothese klarkommen und sein Gesicht ist auch nicht mehr das, was es mal war. Steve ist tot.
Ich lebe. ›Danke‹, sage ich in dem Moment kurz vor dem Einschlafen und ›bitte noch mal so viel Glück wie gestern‹, wenn ich aufwache. Die Tage funktionieren auf ihre Weise und ich mit ihnen.
Nuri ist mein Lichtblick. Das einzige Problem dabei: Niemand darf es erfahren. Ergo: das Klo. Und nur dann, wenn Nuri ohnehin den Waschraum reinigt.
Ich bin mir sicher, ich habe noch nie zuvor dermaßen innig einen Menschen geküsst. Da wir nie wissen, wie viel Zeit wir haben, legen wir uns ordentlich ins Zeug. Klappt die Tür zum Waschraum, hebe ich Nuri auf den Klodeckel und stelle mich mit heruntergelassener Hose und dem Rücken zu ihm vor ihn.
Von außen wirkt das hoffentlich, als erledige ich ein etwas längeres Geschäft. Wir warten, bis wir wieder allein sind, dann huscht zuerst Nuri aus der Kabine und sieht zu, dass er unauffällig das Weite sucht, dann ich.
Nachdem ich Afghanistan verlassen hatte, ist mir die Lust am Küssen vergangen. Gerade kehrt sie mit einer Vehemenz zurück, die mich erschreckt. Was nichts daran ändert, dass ich Cutter in den tiefsten Höllenschlund wünsche.
Endlich lässt Cutter von ihm ab. »Enttäusche mich nicht«, zischt er mit einer Miene, die sich nach meinen Fingerknöcheln sehnt.
Er rauscht aus dem Badezimmer, schließt erstaunlich leise die Tür.
Teshi sinkt an der Wand hinab. Er vergräbt die Finger in seinen Haaren, kauert sich zusammen.
»Was es auch ist, du musst es nicht tun.« Ich hocke mich vor ihn, lege meine Hände auf seine. »Da ist doch was faul. Der Kerl zwingt dich zu etwas, das du nicht willst. Geh zur Polizei.«
»Ich muss mich anziehen.« Er sieht mich an wie ein waidwundes Reh. »Ich bin nicht wie du, Getty. Mir ist es nicht gegeben, Befehle zu verweigern.«
»Du kannst verweigern, was du willst. Du musst nur mit den Konsequenzen leben.« Also kennt er tatsächlich meine Akte.
»Nein.« Er erhebt sich, zieht mich mit hinauf. »Ihr habt die Wahl. Ich nicht.«
Er kleidet sich an, kämmt sich die Haare, bindet sie im Nacken zu einem Pferdeschwanz. Die ganze Zeit über stehe ich hinter ihm und beobachte ihn durch den Spiegel. So ist es mir möglich, sein Gesicht zu sehen.
Sein zeitlos junges Gesicht.
Als er fertig ist, dreht er sich zu mir. »Darf ich dich um etwas bitten?«
»Sicher.«
»Stelle mir keine Fragen mehr.«
»Schwierig.« Mein Kopf platzt vor Fragen.
»Keine Küsse, keine Fragen.«
»Vielleicht habe ich meine Meinung geändert.« Der Anblick, wie ihn Cutter verschlungen hat, wird mein neuer Albtraum.
Teshi stellt sich vor mich. Ganz dicht. »Meine Lippen sind für dich tabu, Getty. Wehe dir, du vergisst das.«