pixelio.de by Norbert HöllerJeremias Gronwald, zweiunddreißig Jahre, vier Monate, eine Woche, drei Tage, sieben Stunden und circa fünfzig Minuten starb an einem Mittwoch im April. Vollkommen unspektakulär. Er rutschte vom Küchenstuhl, schlug seitlich mit dem Kopf auf die Fliesen und inhalierte die letzte Luft seines Lebens.
Ein Herzinfarkt? Mit Anfang dreißig? Ungewöhnlich.
Ein Hirnschlag?
Keine Ahnung.
Tatsache ist, es hat nicht wehgetan. Nur ein taubes Gefühl in den Fingern, dann Schwindel, Schwärze vor den Augen und aus war es.
Ein echt netter Tod.

Ich verschränke die Arme vor der Brust. Wirklich, ich bin stolz auf mich. Immerhin kann ich auch anders.

Zur Auswahl stand Magenkrebs, ein Sturz, volltrunken von der obersten Treppenstufe, und ein infizierter Hundebiss.

Für das Überraschungspaket habe ich mich entschlossen, weil es hält, was es verspricht. Es überrascht. Nicht nur den Toten, sondern auch den Tod. Wie bei einem Überraschungsei.

Ist leicht, jemanden daran ersticken zu lassen. Man muss nur wissen wie.

Meine Gedanken driften in die Vergangenheit. Jede Menge Tode. Große, kleine, junge, sehr junge und steinalte. Manche waren eklig und fühlten sich wie Slimy zwischen den Fingern an, andere rochen nach Räucherfleisch oder schrien laut genug, um mir mein Trommelfell aus dem Ohr zu schlackern. Damals habe ich noch experimentiert. Illegal, da ohne Zertifikat.

Übung macht den Meister und eben jener erwischte mich eines Tages kokelnd mit glühender Zigarette im Federbett eines Hamburger Reeders.

Gott, hat er mir eine gelangt. Ich flog aus dem Bett und klatschte gegen eine geschmacklos verschnörkelte Kommode.

Seitdem besitze ich eine ID-Karte und die Genehmigung zum Töten. Zuerst unter Anleitung, später frei Schnauze, aber nie stümpernd.

Auch beim Sterben gilt es, Regeln zu beachten. Immerhin wollen Polizisten und Ärzte wissen, weshalb es Müller, Schmidt oder Schenkendorf aus den Latschen haut.

Manchmal, vor allem im Herbst, ist mir nach Revolte. Da ziehe ich den Stecker schon mal unvermittelt aus der ein oder anderen Dose –  scheinbar ohne Grund – und lasse die Leute sich ihre ach so klugen Köpfe zerbrechen.

Mehr als ein Verweis blüht mir nicht. Gefeuert werde ich nicht vor drei Einträgen. Der Trick ist, nicht erwischt zu werden.

Vor mir reihen sich die Trauergäste in die Warteschlange zum offenen Grab. Mal ein Blümchen, mal eine Schaufel Erde fällt auf den Holzdeckel. Als ob Jeremias heute nicht genug Dreck abbekommt.

Es beginnt mit der ersten Grabrede. Nach einer halben Minute weinerlichem Gelobhudel stopfe ich mir die Kopfhörer in die Ohren und suche auf meinem iPhone listen to hell. Lieber lasse ich mich vollkreischen, als das Gewimmer zu ertragen.

Jeremias war ein kriecherischer Arsch mit Hang zur Cholerik und ständig feuchten Füßen und Händen. Ich habe ihn nur abbekommen, weil ich in der Nähe war. Doch was klage ich? Mein Job ist krisensicher. Im braven Deutschland zwar meist langweilig, aber meine Kollegen im trockenen Süden beneide ich auch nicht. Rund um die Uhr Einsatz ist nichts für mich. Da kommt der Spaß zu kurz.

Kinderleichen zu stapeln, macht mich lethargisch bis depressiv.

Eine Frau neben mir straft mich mit einem Mörderblick. Elisabeth Warmreiner, Tante des Verstorbenen, Witwe, einundsechzig, Katzen-Fan und Daily-Soap-süchtig.

Allein die Tatsache, dass sie mich sieht, besagt, dass sie auf einer der Abschusslisten steht.

Ihre Lippen formen: Junger Mann! Kennen Sie keinen Respekt vor dem Tod? 

Doch, und wie. Ich ziehe die Stöpsel aus meinen Ohren, verneige mich höflich, nehme ihre Hand trotz des empörten Schnaufens, und lege sie auf mein Herz.

Elisabeth fühlt ihren eigenen Puls unter den Fingern und ahnt es nicht. Erschrocken schaut sie mich an, als sie spürt, dass er immer langsamer und langsamer wird.

Sie bekommt einen interessanten Tod.

Während der Beerdigung ihres Neffen.

Das ist doch mal was.

Um ihre Nase wird es weiß, ihre Lippen tendieren ins Blaue. Das Pochen unter ihrer Hand holpert nur noch.

Hätte sie mich nicht angesprochen, wäre sie mir entgangen. Verdammt, ich muss achtsamer sein. In einem Job wie meinem kann ich mir Schlampereien kaum leisten.

»Tante Elisabeth?«

Ein Hauch Lavendel weht mich an.

»Geht es dir nicht gut?«

Rotbraune Haare, ein grüner Kranz zwischen schwarzen Pupillen und braunem Hof. Ein voller Mund. Jede Wette, sein Lächeln ist hinreißend.

»Was machst du da?« Das Mädchen greift nach der alten Hand, die sich bereits schmerzhaft in meine Brust krallt.

Und zieht sie weg.

Mir stockt der Atem.

Elisabeth blinzelt, fasst sich ans Herz. »Danke Kind, es geht schon wieder.« Verwirrt sieht sie sich um. »Wo ist der Mann mit dem Zylinder und den viel zu langen Haaren hin?«

Automatisch hebe ich den Finger. Umsonst.

»Die waren schwarz wie die Nacht. Wusstest du, dass Jeremias so seltsame Bekannte hatte?«

Das Mädchen – Himmel, ist sie schön – schüttelt den Kopf. Ich trete näher an sie heran, schnuppere an ihren Haaren.

Gleich wird sie frösteln und erschrocken zusammenzucken. Der Spruch, das Gefühl, als ob jemand über mein Grab läuft, kommt nicht von ungefähr.

Ergeben senke ich mein Haupt und akzeptiere, in der Beliebtheitsskala junger Mädchen ganz unten zu rangieren.

»Riechst du das?« Das Mädchen schnuppert dicht vor meinem Gesicht. Ich halte den Atem an vor Schreck. »Wie frischer Schnee in einer Winternacht.« Ihr Blick gleitet verträumt durch mich hindurch. Mein kaltes Herz schlägt nur für sie. Ich will ihre Hand nehmen, es sie fühlen lassen, aber ihre Tante lenkt sie mit schleppenden Schritten zum Grab.   

Ich wurde bestohlen.

Fassungslos starre ich auf die Diebin, die bezaubernder nicht sein könnte.

Gut, dann schubse ich die Alte eben ins falsche, da bereits besetzte Loch. Grab ist Grab. Ich dränge mich durch die Umherstehenden. Mehr als einen eisigen Lufthauch dürften sie kaum spüren.

Erst dicht hinter dem Mädchen bleibe ich stehen. Sie schaudert, zieht die schmalen Schultern hoch. Also doch. Wäre ja auch zu schön gewesen.

Sie dreht sich zu mir herum.

Ihre Augen weiten sich. Zaghaft zupft sie Elisabeth am Ärmel.

»Tante, ist das der Mann?«

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