Don't kiss, just driveJemand klopft an der Wohnungstür, während ich, aus welchen Gründen auch immer, unter dem Bett nach meinen Hundemarken suche. Wie sollten sie hierhergekommen sein? Das restliche Zimmer habe ich bereits durchkämmt.
Es klopft erneut. Dieses Mal lauter.
»Ja, verdammt!«, brülle ich in den Flur. Wo sind die verflixten Dinger?

Cutter steht draußen. Sehr smart in dunklem Anzug und Mantel. »Lust auf eine Reise?« Er drückt mir den Bügel einer Anzugtasche in die Hand. »Ziehen Sie das an.«

Wenn ich es nicht besser wüsste, hielte ich sein Lächeln für sympathisch.

Noch bevor ich den Reißverschluss öffne, ahne ich, was mich erwartet. Die Chauffeursgarderobe.

Mit Kappe.

Cutter nimmt mein Fluchen mit einem Brauenzucken zur Kenntnis. Er folgt mir in mein Zimmer, setzt sich auf meinen Schreibtischstuhl. »Wir sind spät dran, bitte beeilen Sie sich.«

»Ich dachte, wir starten erst heute Nacht?« Will er mir zusehen, während ich mich umkleide?

Seufzend dreht er sich samt Stuhl zum Fenster. »Eine Planänderung.«

Cool, der Kerl kann Gedanken lesen. »Wozu planen Sie überhaupt?« Dieses Hin und Her geht mir gegen den Strich. Ich trenne mich von Pullover und Jeans und schlüpfe in Hemd und Anzug. Sogar an schwarze Socken hat Cutter gedacht.

»Was ist mit Teshi?« Vor ihm hätte ich gern einen Strip hingelegt. Die Nacht mit ihm war … unglaublich. Ich schließe die Augen, gebe mich dem wohligen Schauder hin, der mich von Kopf bis Fuß durchströmt.

Ein warmer Hauch in meinem Genick. Lippen, die sich fest auf meinen Nacken pressen. Cutters Arme schließen sich um meine Brust.

Ich will herumfahren, ihn von mir stoßen. Stattdessen neige ich meinen Kopf zur Seite, gestatte dem Mann hinter mir, meinen Hals zu küssen.

»Danke, dass Sie uns beiden diesen Moment Intimität gönnen«, wispert er gegen meine Haut. »Ich verspreche Ihnen, es wird der letzte sein, den ich Ihnen aufdränge.«

Seine Umarmung ist fest. So fest, dass ich Mühe habe, zu atmen. Dennoch fühle ich mich in ihr geborgen. »Was ist mit Teshi?«

Reue. Ich will sie fassen, sie wie einen Schild zwischen mich und Cutter halten. Sie entzieht sich mir.

»Ich bringe Sie zu ihm.«

»Warum verführen Sie mich vorher?« Darauf wird es hinauslaufen. Ich weiß es mit einer Sicherheit, die mich erschüttert. Als besäße ich keinen Willen. Keine Kraft, mich dagegen zu wehren.

»Weil Sie mir nicht freiwillig entgegenkommen.« Seine Hand wandert hinauf zu meiner Kehle, streift etwas über meinen Kopf.

Ich höre ein leises, metallisches Klirren, spüre einen Hauch Kälte durch den Stoff des Hemdes.

Erinnerungen fluten mich.

Sand, der die Haut wund reibt, Staubwolken, wegspritzende Steine. Bobs blutender Unterschenkel, der zwischen der leeren Blechbüchse und dem herausgebrochenen Mauerstein so verloren wirkt. Ein Schrei, der mir Tränen in die Augen treibt. Das Lachen der Kameraden, warmes Bier aus noch wärmeren Dosen. Ein Eimer samt Wischmopp auf feuchten Fliesen,  Nuris Lächeln, während ich die Kabinentür hinter uns verriegele.

Seine Küsse.

»Nimm sie an«, flüstert Cutter so verheißungsvoll, dass ich mich gegen ihn lehne, nur, um ihm näher zu sein. »Und dann lass sie los.« Er nimmt mein Kinn, wendet mein Gesicht seinem entgegen.

Meine Lippen finden seine, öffnen sich, lassen ihn gewähren. Mir wird schwindelig unter seinem Ansturm. Verliere den Boden unter den Füßen.

Das Zimmer dreht sich um mich, seine Farben verblassen. Ich will mich festhalten, greife ins Leere.

Ich falle. Warte auf die Angst vor dem Aufschlag.

Sie bleibt aus.

 

 

Meine Lider sinken. Ich bin todmüde. Die lange Reise hängt mir in den Knochen. Ich trinke einen Schluck Kaffee aus dem Thermosbecher, schalte den Jaguar einen Gang zurück. Vor mir breitet sich der Hafen aus. Ich öffne das Fenster. Ein Potpourri aus Dieselabgasen und Seetang dringt in meine Lunge.

Am Armaturenbrett klemmt die Visitenkarte meines Auftraggebers. Nur ein Name und eine Handynummer. Er bat mich, einen Mr. Haru Matsukuro um Mitternacht auf der Meiko-Higashi-Brücke abzuholen.

Ich war noch nie in Japan. War eine echte Überraschung, als mir am Ausgang des Nagoya Airfield ein Taxifahrer den Schlüssel eines Jaguar XJ in die Hand drückte.

Älteres Baujahr.

Ich liebe Kühlerfiguren.

»Die Papiere liegen im Handschuhfach.« Er lächelte schmal. »Der Arbeitsvertrag ebenfalls.«

„Ich kann mich nicht daran erinnern, ihn unterschrieben zu haben.“

„Ich schon.“ Seine rotblonden Haare lugten unter seiner Mütze hervor und seine graublauen Augen musterten mich eine Spur zu gründlich. »Sie benötigen eine angemessene Kleidung für Ihren neuen Job.« Er öffnete die Wagentür, wies ins Innere.

Ein schwarzer Anzug, weiße Handschuhe, eine Chauffeurskappe.

Auf meine Frage, ob das ein Scherz wäre, schüttelte er den Kopf. »Ich scherze nie, Mr. Getty. Das liegt nicht in meiner Natur.« Ohne eine weitere Erklärung stieg er in sein Taxi und fuhr davon.

Vor mir erheben sich die blauen Tragpfeiler der Brücke.

Zwei Minuten vor Mitternacht. Das nennt man wohl just in time.

Ein Schatten bewegt sich zwischen den Schrägseilen.

Ein Mann. Er steht auf der Absperrung, blickt in die Tiefe.

Ich bremse, bete, dass ihn das Quietschen der Reifen nicht erschreckt.

»Sir?« Ich renne zu ihm. »Bitte, steigen Sie da runter.«

Er scheint mich nicht zu hören.

»Sir, bitte, lassen Sie sich helfen!« Meine Handflächen werden feucht vor Angst.

Ich klettere zu ihm hinauf, zwinge mich, nicht hinab zu sehen. Dass dort harter Asphalt auf mich wartet, ist mir auch so bewusst. Ein paar Schritte weiter und das Meer hätte unter uns gerauscht.

Ich hangele mich zu ihm, ignoriere die Übelkeit, die in mir aufsteigt. »Ich bin zum ersten Mal in Nagoya. Ist sicherlich eine nette Stadt. Haben Sie Lust, sie mir zu zeigen?« Schwachsinn. Er dient lediglich dazu, meinen Adrenalinspiegel zu senken und den Mann von seinem Vorhaben abzulenken.

Er ist bildschön. Sein schmales Gesicht, die langen schwarzen Haare, mit denen der Nachtwind spielt.

Für einen Moment scheint es, als würde er das Gleichgewicht verlieren.

»Hören Sie mir zu!« Wenn er nur auf mich reagieren würde! »Welches Problem Sie auch hier heraufgetrieben hat, ich werde Ihnen helfen.«

Sein Mantel bauscht sich. Er schiebt den Fuß nach vorn, will ihn in die Leere setzen.

»Bitte, Sir.« Ich halte ihm meine Hand hin, während sich mein Herz vor Angst um einen Fremden zusammenkrampft.  »Vertrauen Sie sich mir an. Ich verspreche Ihnen, Sie nicht zu enttäuschen.« Er darf nicht springen. Bitte, er darf es nicht!

Er hebt den Blick, sieht mich an. »Wer sind Sie?«

»Jacob Getty, Sir. Nehmen Sie meine Hand und ich bringe Sie in Sicherheit.«

Seine Finger lösen sich von der Verstrebung, finden meine.

Ich greife so fest zu, wie ich kann.

 

2 Gedanken zu “Don’t kiss, just drive – Chapter twelve

    1. Die komplette Geschichte ist gerade im Korrektorat. Mit ein bisschen Glück veröffentliche ich sie aber noch dieses Jahr (also morgen oder übermorgen 😉 ) unter dem Titel „Mr. Cutter’s special way of kissing“. Ansonsten findest du die restlichen 11 Kapitel hier auf dem Blog.
      Danke für dein Lob und gut’s Nächtle.

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